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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dich überraschen, Frank.«
    »Wie denn? Du weißt, ich mag keine Überraschungen.«
    »Nein, du überraschst lieber andere. Aber diese Überraschung, die wird dir gefallen.«
    »Meinst du? Dann sag endlich, was es ist!«
    »Sie macht das, was du dir gewünscht hast, das sie tun soll, Frank.«
    »Was denn? Ich habe sie um nichts gebeten.«
    »Sie dekoriert für Weihnachten draußen bei Martin. Oder bei euch.«
    Die Mutter stand auf und öffnete die Keksdose, als wollte sie sich vergewissern, dass die Scheine immer noch dort lagen, vielleicht wollte sie auch nur den Anblick genießen. Frank bekam einen trockenen Mund. Er wollte nicht weiterfragen. Wenn er nicht weiterfragte, dann war es gar nicht passiert. Aber er konnte doch nicht an sich halten.
    »Ist Blenda jetzt da draußen? Im Haus?«
    »Sie war es jedenfalls. Und erzähl ihr nicht, dass ich etwas gesagt habe, wenn sie kommt, um dich abzuholen. Versprichst du mir das?«
    Die Mutter gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange und Frank konnte sich nicht erinnern, wann sie das das letzte Mal getan hatte, vielleicht als er noch ein Junge war und immer noch Hoffnung für ihn bestand. Hegte sie jetzt Hoffnung für ihn, für Blenda und ihn? Dann nahm sie doch die ganze Keksdose unter den Arm und ging ins Bett. Es war fast zwei Uhr. Das Einzige, was er tun konnte, war warten. Wie lange Zeit braucht es, bis das Gehirn begreift, was passiert ist, es voll und ganz versteht, soweit das überhaupt möglich ist? War das wie beim Essen, bei dem man langsam kauen musste, um auf die richtige Art und Weise satt zu werden, musste man ebenso langsam denken, um verstehen zu können? Nimm es, wie es kommt, sagte er zu sich selbst. Nimm es, wie es kommt. Auch wenn es schon lange zu spät war, es zu nehmen, wie es kam. Jetzt war er von einem Unglück betroffen, oder? Gegen sieben hörte er jemanden an der Pforte. Das hätte Blenda sein können. Er redete es sich ein. Da kommt Blenda. Doch sie war es nicht. Er ging hinaus und öffnete, bevor sie anklopfen konnten. Ein dreckiges Licht, das aussah wie eine Persenning, hing über den ungepflegten, verfrorenen Gärten und den verlassenen Häusern in der April Avenue. Der Sheriff nahm den Hut ab. Der Arzt blieb dicht hinter ihm stehen. Sie kamen zu zweit, um diese schlechte Nachricht zu überbringen. Nur der Pfarrer fehlte. Sie wirkten erschöpft und schienen sich nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen.
    »Du hast es vielleicht schon gehört?«, fragte der Sheriff.
    »Nein. Was denn?«
    »Es hat letzte Nacht bei Martin gebrannt. Das heißt, bei dir. Dir gehört das Haus ja jetzt.«
    »Ist das Feuer gelöscht?«
    »Da gibt es nichts mehr, was brennen kann, Frank. Abgesehen von …«
    Der Sheriff verstummte und schaute zu Boden. Der Arzt schob ihn zur Seite.
    »Können wir nicht reingehen, Frank? Es ist kalt.«
    Er ließ die beiden herein. Sie setzten sich in die Küche. Sie schauten einander an mit kurzen, verstohlenen Blicken, dann legte der Sheriff seinen Hut auf den Tisch und sprach weiter.
    »Da war jemand da draußen.«
    »Wer sollte das denn sein?«
    »Wir nehmen an, es war Bob Spencer. Er saß auf der Veranda.«
    »Warum sollte der auf Martins Veranda sitzen? Auf meiner Veranda?«
    Dieser Gedanke streifte Frank als Erstes: Wie leicht es war zu lügen. Und die beste Art zu lügen war, Fragen zu stellen. Der Arzt holte eine Zigarette heraus, legte sie auf den Tisch.
    »Wie gesagt, wir können nicht sicher sein, bis …«
    Der Arzt brach ab. Es war eine lausige Vorstellung. Sie stotterten, sie unterbrachen sich gegenseitig, zögerten und waren unsicher. Es war würdelos. Sie taten all das, was Frank gelernt hatte, nicht zu tun. Seiner Meinung nach hatte er etwas Besseres verdient.
    »Wenn Bob Spencer irgendwelche Verwandten hat, dann werde ich sie gern unterrichten«, sagte Frank.
    »Das brauchst du nicht.«
    »Brauche ich nicht? Ich möchte aber meinen Job machen. Ich …«
    »Dieses Mal bist du derjenige, der die Nachricht erhält, Frank. Es war noch eine Person dort.«
    »Noch eine? Wer denn?«
    »Blenda. Blenda Johnson.«
    Frank wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er erinnerte sich, was der Sheriff ihm fast als Erstes gesagt hatte: Trauer ist nicht einzuschätzen. Alles kann passieren. Er hatte es selbst auch gesagt, und er hatte es mit eigenen Augen gesehen, dass jeder Mensch seine Art zu trauern hat. Er schaute sie an, einen nach dem anderen, ihre Gesichter waren zerfurcht und verzerrt, sie waren kaum wiederzuerkennen. Hatten sie

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