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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ähnelte einem trockenen Alkoholiker auf dem Weg zu einem Laden mit lauter Leckereien. Wie ich zu sagen pflege: Früher war ich glücklich, jetzt geht es mir besser.
    Es war im Oktober, fast schon abends, ein ödes Licht, nur die Reste des Himmels, glitt über die Landschaft, die genauso öde war, eine Landschaft, möbliert mit Steinen, Steinen und nochmals Steinen. Hier muss ein Gletscher entlanggerutscht sein und einige Tonnen sehr harte Flusen und Fusseln hinterlassen haben. Ich selbst hatte mein annus horribilis hinter mich gebracht. Zuerst verlor ich meinen Vater, dann verlor ich meinen Roman und zum Schluss verlor ich meinen Verstand. Diese Ereignisse hatten im Grunde genommen nichts miteinander zu tun, vielleicht abgesehen von der Sache mit dem Verstand. Aber sie ereigneten sich im Laufe einer so kurzen Zeit, dass ich deshalb nicht umhinkomme, sie als eine Art Ereigniskette anzusehen, eine Massenkarambolage in dem gelben Nebel, Tod, Leere und Diagnose. Mein Vater war neunzig Jahre alt. Er kam im Dezember ins Diakonhjemmet Krankenhaus und starb dort. Von seinem Zimmer aus konnten wir jeden Morgen die blauen Linien der Stadt sehen, die am Grefsenkollen begannen, sich über den Ekebergåsen fortsetzten und nach Nesodden hin verschwanden, wo wir kein Sommerhaus mehr hatten, es war abgerissen worden, das Grundstück wurde aufgeteilt, der Obstgarten abgeholzt, die Hummeln waren in andere Hotels gezogen, und der Karpfenteich war leerer als je zuvor, wenn es überhaupt noch Spuren von ihm gab. Mir fiel etwas ein, die Behauptung, der Karpfen sei der Fisch, der am längsten an Land überleben kann. Wozu sollte das gut sein? Wäre es nicht besser, gleich erschlagen zu werden, wenn man ein Karpfen war und unfreiwillig auf der Erde landete? Es wird ja wohl kein Karpfen freiwillig an Land gehen? Abends sahen wir, abgesehen von den weihnachtsgeschmückten Einkaufsstraßen, die aussahen wie Kondensstreifen von Flugzeugen, kreuz und quer gezogen, das neue Bürogebäude in Majorstua am besten. Es wurde errichtet, nachdem das Philipshochhaus in Schutt und Asche zerfallen war. Übrigens dauerte es gar nicht lange, da begannen die Leute das vorher so verschmähte Gebäude zu vermissen. Was unwiderruflich fort ist, nimmt neue Formen an und wird anders angenommen. Es wird umgedichtet, verherrlicht. War etwa das neue Hochhaus nicht noch schlimmer? Wenn die Lichter in einigen der Fenster brannten, so wie jetzt, sah es aus wie eine Ruine aus Glas, durch die die Dunkelheit glitt. Das wollte ich meinem Vater sagen, brachte es aber nicht heraus. Ich wollte ihm sagen, dass sein Haus das beste gewesen war. Doch dann kam er nicht mehr aus dem Bett heraus, musste dort liegen bleiben und fing an, Gespenster zu sehen. Die Uhr an der Wand hing falsch herum. Das war so eine Uhr, wie man sie auf Bahnhöfen und in Wartezimmern findet. Was sollte bitte schön mein Vater hier mit einer Uhr? Warum hing sie hier, direkt in seinem Blickfeld? Hing sie hier, um ihn an das Leben zu erinnern, während der Tod seinen Job ausübte? Übrigens kann ich solche Uhren generell nicht ausstehen, solche Uhren ohne Sekundenzeiger, die Minuten, die vorrücken, die Zeiger wie eine Art Schere, die die Stunden in Stücke schneidet. Mein Vater brachte so oder so die Zeit durcheinander. Wir alle brachten sie durcheinander. Warum ich mitten in der Nacht komme, fragte mein Vater. Die Tür zur Toilette war das Tor zum Hauptbahnhof in Kopenhagen. Warum lag da eine Schildkröte auf der Bettdecke? Weg damit! Ich dachte an den Magnolienbaum, der alle Jahreszeiten im April vereint, der im Laufe dieses einen Monats blüht und verwelkt. Jetzt vereinte Vater alle Altersstufen im Dezember. Der Greis wurde wieder zum Kind. Ich wurde sein Vater. Ich fütterte ihn. Ich cremte seine trockenen, dünnen Lippen mit Vaseline ein. So nah war ich ihm nie gewesen. Eines Morgens lag er laut fluchend im Bett. Pisse, Kacke und Scheiße, rief er, immer wieder. Ich ließ ihn weiterrufen. Geht es dir nicht gut?, fragte ich zum Schluss. Was ist das für eine Frage? Er rief weiter, Pisse, Kacke und Scheiße. Dann zeigte er lächelnd auf mich. Erinnerst du dich nicht mehr? Nein, woran denn, Vater? Fanny und Alexander, du Dummkopf! Der Film! Als Alexander nach der Beerdigung seines Vaters nach Hause geht, sagt er, Pisse, Kacke und Scheiße, Pisse, Kacke und Scheiße! Ist das nicht herrlich? Ich setzte mich auf die Bettkante und half ihm mit Saftglas und Strohhalm. Manchmal wusste er nicht mehr, wer ich

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