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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ging schnell. Das war ebenso überwältigend wie erschreckend. Meine Welt war nicht länger allein meine.
    »Klaro. Gutes Fernglas. Mit dem kann man weit gucken.«
    »Ist Iver ein guter Freund von dir?«
    Ich wünschte, sie hätte diese Frage nicht gestellt. Sie beunruhigte mich. Was hatte Iver damit zu tun? Nichts. Sie kannte sogar seinen Namen. Iver. Ich wollte nicht, dass er, oder wer auch immer, etwas damit zu tun hatte.
    »Wieso?«
    »Lisbeth redet die ganze Zeit von ihm.«
    »Und was sagt sie? Wenn sie von Iver redet, meine ich.«
    »Dass er immer barfuß geht. Dass er schlecht riecht.«
    »Jedenfalls im Sommer.«
    Heidi nahm das Fernglas und schaute mich damit an. Zuerst versuchte ich zu lächeln, bekam aber irgendwie den Mund nicht an Ort und Stelle, also versuchte ich stattdessen eine uninteressierte Falte quer über die Stirn zu legen und stützte das Kinn in die Hand. Wahrscheinlich sah ich aus wie ein Biber mit Zahnschmerzen. Schließlich legte sie das Fernglas hin und sah mich weiterhin an, ohne alle Hilfsmittel, ausgenommen die Augen. Die waren braun, glänzend und eine Spur wehmütig, was mich absolut nicht störte. Ich konnte mir gut vorstellen, mit ihr zusammen ein bisschen wehmütig zu sein, in ihrer Welt, in unserer Welt.
    »Schreibst du?«, fragte sie.
    Konnte sie mir das ansehen? Waren es meine Scharten, die sie gerade gesehen hatte? Ich zuckte mit den Schultern, immer noch allem und allen gegenüber gleichgültig, genau so wollte ich sein, gleichgültig, unangefochten, aber eigentlich hatte ich gar nichts gegen ihre Frage, so musste ich es nicht selbst erwähnen.
    »Wenn es sich so ergibt.«
    »Und was? Gedichte?«
    »Meistens Gedichte, ja. Momentan.«
    »Und worüber?«
    »Unter anderem über den Mond. Momentan, meine ich.«
    Mir kam der Gedanke, dass wir hier saßen und einander ausfragten, als wären wir zu einem Verhör bestellt worden, abgesehen davon, dass es Heidi war, die am meisten fragte, und dass wir beide unschuldig waren, zumindest ich, bis das Gegenteil bewiesen war. Noch ein Gedanke kam mir, über etwas, das ich in einem Film gesehen hatte, oder in einem Fernsehkrimi: Du hast das Recht zu schweigen. Aber ich hatte keine Lust zu schweigen. Und wie gesagt war es vollkommen in Ordnung, dass sie am meisten fragte, wenn sie nur nicht mehr über Iver wissen wollte, denn es gefiel mir, hier zu sitzen und übers Schreiben zu reden, und es damit als ein Faktum erscheinen zu lassen, dass ich ein Dichter war, nicht nur in meinen eigenen Augen, sondern auch in den Augen anderer, zumindest einer anderen, nämlich in Heidis Augen, und das reichte für eine ganze Weile. Ich genoss es ganz einfach.
    »Kann ich etwas lesen?«, fragte sie.
    Ich bekam sogar die Gelegenheit, mich kostbar zu machen, und das geschah nicht so oft, man konnte die Gelegenheiten an einer Hand abzählen – mit zwei amputierten Fingern –, während die Male, die ich mich unter Wert verkauft hatte, nur mit dem großen Einmaleins und mindestens einem Taschendieb auszurechnen waren.
    »Ich bin noch nicht ganz fertig. Danach werden wir sehen.«
    Sollte Heidi, dieses fremde Mädchen, das an einem Sommertag auftauchte, mein erster Leser werden? Dagegen hatte ich nichts. Es gab nichts an ihr, wogegen ich etwas hätte haben können. Wie konnte das nur sein? Ich wusste doch nichts von ihr. Sie könnte eine Pyromanin sein, oder eine Kleptomanin, vielleicht war Blumenkohlsuppe ihr Leibgericht, und vielleicht war sie sogar Mitglied in der Pfingstgemeinde, woran ich natürlich zweifelte, aber dennoch. Sicher, sie war hübsch, aber nicht so wahnsinnig schön in der Art, die Mädchen überlegen und abstoßend macht, weil sie so einen Panzer bekommen, dass selbst das Licht nicht mehr durchdringt, und zum Schluss enden sie als blasse, verbitterte Mauerblümchen auf dem allerletzten Schulball. Was ihnen nur recht geschieht. Nicht, dass ich finde, Heidi wäre nicht besonders hübsch. Sie war auf den ersten Wurf hübsch. Und sollte sie anbeißen, würde ich ihren Blick und alles, was dazugehörte, vorsichtig einholen. So träumte ich von Dingen, von denen ich keine Ahnung hatte. Wir waren Seelenverwandte. Das war es, was wir waren. Und nachdem wir das schon einmal waren, folgte der Körper bald nach. Da fiel mir ein, dass ich ja bereits ein anderes Gedicht an »Kvinner og Klær« geschickt hatte, und wenn ich nun hochnäsig war und meine Fähigkeiten überschätzte, dann konnte der Fahrstuhl ganz schnell in den Keller rasen. Immer gab es

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