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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Aktion war halsbrecherisch und wenig durchdacht. Wenn ich von dort aus anriefe, würden Gott und die Welt und mindestens noch ein paar mehr erfahren, um was es ging, bevor der Hörer überhaupt wieder auf seinem Platz war. Ich drehte im letzten Moment um und lief stattdessen hinunter nach Signalen. Es war nicht mein Tag, in der Mulde stand nämlich Witwe Gulliksen in Person mit einem karierten Einkaufswagen voll mit Kartoffeln, Selters und Gerüchten.
    »Na, der junge Herr hat es aber eilig heute.«
    »Die Makrelen sind da.«
    »Sicher, dass du nicht zum Tanz gehen willst? Du Schlingel.«
    Ich versuchte an ihr vorbeizukommen, aber sie war wie eine Wand. Ich ging bereits davon aus, dass ich über sie hinwegklettern musste.
    »Ich habe es eilig, Frau Gulliksen.«
    »Wie geht es deinem Vater?«
    »Gut.«
    »Du kannst gern kommen und mein Telefon leihen, wenn du ihn anrufen willst.«
    »Danke.«
    »Das gilt auch für deine Mutter. Wann auch immer.«
    »Danke.«
    »Wie geht es ihr übrigens?«
    »Doch, ja. Sie ist natürlich traurig, dass …«
    »Es muss ja schrecklich für sie sein. Mein Gott.«
    »Er hat ja nur das Bein gebrochen.«
    »Ja, das stimmt schon.«
    »Er hat nur das Bein gebrochen«, wiederholte ich, »daran stirbt man nicht.«
    »Findest du nicht, dass du eine alte Dame fragen solltest, ob sie Hilfe braucht?«
    Fast riss ich ihr den Einkaufswagen aus der Hand und zog mit ihm wieder hoch nach Pynten. Witwe Herzschlag Gulliksen konnte kaum Schritt halten. Sie keuchte und schnaufte im Hintergrund. Es klang nicht gut. Das hatte sie nun davon. Wäre sie auf dem Weg hinauf gestorben, hätte mich das nicht besonders erschüttert. Ich parkte den Ziehwagen am Zaun. Sie hob einen Finger.
    »Eins will ich dir sagen. Dieser kleine Barackenbursche hat einen schlechten Einfluss auf dich. Oh ja, das hat er!«
    Dann ging ich wieder hinunter nach Signalen. Ich mochte nicht laufen. Es hatte ja sowieso keinen Sinn. »Kvinner og Klær« war wahrscheinlich schon lange in Druck. Allein der Gedanke daran machte mich mutlos. Wenn Gott schon im Voraus beschlossen hatte, wie alles laufen sollte, konnte ich mich ja auch gleich in den Straßengraben setzen und warten, dass es knallte. Wobei ich noch nicht einmal an Gott glaubte. Ich hatte genug mit Zahlenreihen, Zeichen und Tanten zu tun. Aber wenn ich von derartigen Gedanken geplagt wurde, musste ja doch etwas dran sein, an Gott, meine ich. Verstehe das, wer will. Jedenfalls war ich erschöpft, schlaff und ohne jede Hoffnung, als ich endlich auf der Landzunge ankam.
    Iver Malt, der kleine Barackenbursche, saß immer noch mit nacktem Oberkörper auf dem klapprigen Campingstuhl, fast versteckt hinter einer riesigen Sonnenbrille. Er hatte sich wohl für längere Zeit dort niedergelassen. Schnell schaute ich mich um, konnte den Vater aber nicht entdecken und hörte auch keinen Lärm aus seiner Werkstatt. Das letzte Huhn war auch verschwunden, und es lag keine Waffe mehr auf dem Holzstapel.
    »Habt ihr Telefon?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Weißt du, von wo aus ich anrufen könnte?«
    »Ja.«
    »Und von wo?«
    »Das kostet aber Geld.«
    »Ich habe Geld.«
    »Wie viel?«
    »Einen Fünfzigerschein.«
    Iver schob langsam mit dem Zeigefinger die Sonnenbrille auf die Stirn und blinzelte.
    »Einen Fünfziger?«
    »Ja. Einen Fünfziger. Nun mach schon.«
    Iver stand langsam auf, ging zur Wäscheleine, die zwischen einem verdorrten Baum und einem Pfahl hing, und riss ein Hemd von ihr ab. In dem Moment entdeckte ich eine Frau, das musste seine Mutter sein, wer denn sonst, die Frau, die Deutschenliebchen genannt wurde, weil sie von einem feindlichen Soldaten ein Kind bekommen hatte, einen unehelichen Sohn, den niemand gesehen hatte, und den es nur in üppigen Gerüchten und gedankenlosen Tratschgeschichten gab. Sie kam aus einem Schuppen heraus, es war eher ein Erdkeller, der hinter all dem Schrott und Gerümpel lag, und sie trug einen Korb mit Essensresten, oder was nun da drinnen war. Sie hat die Tiere gefüttert, dachte ich. Erst jetzt bemerkte sie mich und blieb einen Moment lang stehen. Sie hatte Stiefel an den Füßen und trug dicke, dunkle Kleider, und um den Kopf hatte sie ein rotes Kopftuch geknotet. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, zu ihr gehen, einen Diener machen und sie begrüßen. Iver war auch keine große Hilfe, er stand nur da mit seinem Hemd in der Hand und sagte kein Wort. Dann ging sie weiter, mit schnellen Schritten, und verschwand im Haus, in der Baracke. Iver sagte immer

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