Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
der anderen, und ihre Zeit, die kürzer war als der Teil einer Sekunde gemessen an der Ewigkeit, die auf sie wartete, mit sich nehmen würden. Ich winkte, bis sie mich nicht mehr sehen konnten. Dann ging ich wieder hoch zum Haus. Mutter wirkte erschöpft und sagte nicht viel.
    »Ist ›Kvinner og Klær‹ gekommen?«, fragte ich.
    Sie blieb stehen, schaute mich verblüfft an.
    »›Kvinner og Klær‹? Wieso fragst du?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Nur so. Vergiss es.«
    »Findest du nicht auch, dass es eigentlich normal wäre, wenn du zuerst fragen würdest, wie es deinem Vater geht?«
    »Doch, ja. Wie geht es Vater?«
    »Den Umständen entsprechend gut. Aber es ist ein komplizierter Bruch, deshalb muss er noch eine Weile im Krankenhaus bleiben.«
    Mutter ging wieder los. Ich holte sie ein.
    »Wann kommt ›Kvinner og Klær‹ denn raus?«
    »Jetzt hör endlich auf mit ›Kvinner og Klær‹! Was ist denn los mit dir?«
    »Am Dienstag, nicht wahr?«
    »Ich fürchte, die Tanten haben dich dieses Mal wirklich in den Wahnsinn getrieben.«
    Das letzte Stück gingen wir ohne etwas zu sagen. Normalerweise brachte Mutter immer etwas mit, wenn sie in der Stadt gewesen war, eine Tafel Schokolade, Limonade, wie nannten wir es noch, ja, Stadtgabe, aber dieses Mal nicht, vielleicht war sie der Meinung, dass ich für so etwas inzwischen zu alt geworden war. Was ich jedoch nicht fand. Ich setzte mich auf die Terrasse, während sie ihre Runde machte und hinter den Tanten aufräumte, was bedeutete, dass sie die Dinge, die von den Tanten woandershin geräumt worden waren, wieder an ihren Platz stellte. Es war ein warmer Abend, blau wie eine Miesmuschel. Dann kam Mutter heraus, die grüne Decke über den Schultern. Sie hatte Moby Dick in der Hand.
    »Woher kommt das?«
    »Von Iver Malt.«
    »Hast du es dir ausgeliehen?«
    »Ich habe es geschenkt gekriegt.«
    »Er schenkt dir ja eine ganze Menge, dieser Iver Malt. Die Fischdose, das Vorfach. Bücher.«
    »Ja und? Macht das was?«
    Mutter legte das Buch auf den Tisch, blieb daneben stehen.
    »Du solltest vorsichtig mit Geschenken sein, Christian. Besonders mit denen, die man bekommt.«
    »Und warum?«
    »Zum Schluss musst du ihm auch etwas schenken.«
    »Was sollte das denn sein?«
    »Da siehst du es. Was sollte das denn sein?«
    »Vielleicht ein Paar Schuhe.«
    Mutter setzte sich und seufzte in einer Art, wie ich sie noch nie hatte seufzen hören. Sie sagte etwas Merkwürdiges. Ich kann mich immer noch Wort für Wort daran erinnern, ein Klageruf, dessen Umfang ich nicht ermessen konnte, eine Art Refrain.
    »Nein, da weiß ich auch nicht weiter.«
    Sie sagte es auf eine unkomplizierte Art, ohne sich jemandem zuzuwenden, ohne mich anzusehen, nein, da weiß ich auch nicht weiter, als wären alle ihre Gedanken und all ihr Wissen in dieser leisen Leugnung oder diesem Zugeständnis versammelt; es gab ein Wort dafür, wie ich später lernte, als ich selbst von dem gleichen Zustand angesteckt wurde, spleen , der seinen Sitz in der Milz hat, diesem lang gestreckten, flach gedrückten Organ, der Werkstatt der Blutkörperchen.
    »Wo weißt du auch nicht weiter, Mutter?«
    Ein Ruck durchfuhr sie, als fröre sie plötzlich oder wollte nur etwas abschütteln.
    »Achte nicht auf mich. Ich bin so dumm.«
    Sie gab mir einen Briefumschlag mit meinem Namen darauf. Ich konnte Vaters Handschrift kaum wiedererkennen, die normalerweise fest und klar war. Jetzt standen die eckigen Buchstaben schief, sie kippten fast um, und der feste Strich zögerte, als hätte er beim Halten des Stifts gezittert, vielleicht hatte er sich beim Fall ja auch die Hand verletzt. Wie würden dann die Häuser werden, wenn er sie zitternd zeichnete? Würden sie ebenso wacklig werden? Ich ging in mein Zimmer hoch und öffnete den Umschlag erst dort. Drinnen lagen ein Fünfziger und ein Gruß. Hallo, alter Räuber, pass den Sommer über gut auf Mutter auf und verwende zumindest etwas von dem Geld für ein Farbband. Vater. Auf der Rückseite hatte er eine Bleistiftskizze gezeichnet: Ganz oben von einem Gerüst fällt ein Mann, der mit beiden Händen seinen Hut festhält. Darunter hatte er geschrieben: Entschuldigung, aber ist das der Weg zum Mond?

11
    A m nächsten Tag nahm ich all meinen Mut zusammen und lief hinauf nach Pynten, zur Witwe Fernsprecher Gulliksen, um bei »Kvinner og Klær« anzurufen. Das Blatt musste aufgehalten werden, bevor es in den Druck ging. Doch bevor ich so weit kam, bekam ich kalte Füße. Die ganze

Weitere Kostenlose Bücher