Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
stand nicht dort, obwohl doch sie es meistens war, fast immer, die sich meldete, wenn jemand anrief. Mir kam der Gedanke, ein sonderbarer, unangenehmer Gedanke, dass es Mutter gar nicht gab. Sie war nicht vorhanden, existierte nur in meiner und Vaters Fantasie. Dann fand ich »Kvinner og Klær« und rief dort an. Eine Frau in der Telefonzentrale meldete sich, und ich bat sie, in die Redaktion durchgestellt zu werden. Aber das ging nicht. Was dachte ich denn, wer ich sei? Funder, antwortete ich. Ich bin ein Schriftsteller. Nach vielem Wenn und Aber bekam ich zumindest eine Sekretärin ans Telefon. Ich schilderte ihr mein Anliegen. Aus persönlichen Gründen müsste ich mein Gedicht zurückziehen. Es durfte unter keinen Umständen veröffentlich werden. Welches Gedicht? Zwischenzeit! Die Uhren am Drammensveien! Ich wurde zu einer Redakteurin durchgestellt und musste wieder von vorn anfangen.
»Kein Problem«, sagte sie.
»Kein Problem?«
»Nein. Wir drucken es nicht, wenn du es nicht willst.«
»Nein?«
»Natürlich nicht.«
»Das heißt, wenn ich es nicht zurückziehen würde, dann würde es gedruckt werden?«
»Ja, das war geplant. Allen hier hat das kleine Gedicht sehr gut gefallen.«
Eine Weile blieb ich in der engen Kabine schweigend stehen, wie lange, das weiß ich nicht, ich umklammerte den Hörer mit beiden Händen und versuchte zwei und zwei zusammenzuzählen. Doch, das war eine Regelung, mit der ich leben konnte. Ihnen gefiel das Gedicht, aber leider konnte ich nicht zulassen, dass es gedruckt wurde, bis auf Weiteres nicht. Aber ich wusste, dass es gut genug war, zumindest für »Kvinner og Klær«. Ich hatte ein Geheimnis, das ich hüten konnte, hinter dem ich mich verstecken und das ich genießen konnte, wenn sich wieder einmal alles zusammenbraute.
»Vielleicht können wir später zu einer Einigung kommen«, sagte ich.
»Das wäre schön. Du hast nicht zufällig noch ein kleines Gedicht auf Lager, das sich reimt? Unsere Leser mögen Reime so gern.«
»Das ist nicht ausgeschlossen. Ich werde mal in meinem Stapel nachsehen. Und noch einmal vielen Dank.«
Ich legte auf. Ich war angenommen worden. Der Fahrstuhl fuhr in mir nach oben, alle Stockwerke von den Fußsohlen bis zum obersten Zylinderkopf, es machte Pling im Schädel, die Türen öffneten sich, und ich konnte im Himmel aussteigen. Übrigens hatte ich nicht gewusst, dass ich so viele Stockwerke hatte. Mir wurde ganz schwindlig, und ich kippte langsam zur Seite. So ein Gefühl war es also, wenn man angenommen war. Auch wenn es nur von »Kvinner og Klær« war. So fühlte sich echtes Glück an. Mein Glück. So sollte es bleiben. Deshalb musste ich es wiederholen. Ich musste mehr schreiben. Den Rest meines Lebens schrieb und schrieb ich immer mehr, um das Glück im Gleichgewicht zu halten, bis es sich gegen mich wandte, seinen leeren Papierbogen gegen mich wandte.
Dann begriff ich, dass ich nicht der Einzige war, der zu kippen drohte, Oksvald, der rostige Seelenverkäufer, mein Glücksschiff, krängte auch, und als ich aufs Deck hinaustrat, waren wir bereits auf dem Weg in den Bunnefjord, mit Kurs auf die Schatten und das brackige, ruhende Wasser. Iver stand an der Trosse und fing an zu lachen, als er mich sah. Er hätte zumindest Bescheid sagen können, dass die Fähre ablegte und wir immer noch an Bord waren. Aber ich war nicht wütend. Nichts konnte mich jetzt wütend machen. Und noch merkwürdiger war, dass ich auch nicht nervös wurde, nervös, dass meine Mutter nervös werden könnte, weil ich so lange fortblieb, und ich machte mir auch keine Sorgen darüber, dass sie fragen könnte, wofür ich all das Geld gebraucht hatte. Das Einzige, was mir Sorgen machte, war die Tatsache, dass ich mir überhaupt keine Sorgen machte. Das war nicht normal. Ich stellte mich neben Iver. Eine jähe Kälte stieg von dem Wasser auf, dessen Farbe von Silber in Schwarz wechselte.
»Ich habe zwei Geheimnisse«, sagte er.
»Ich nicht.«
»Wie viele hast du?«
»Gar keine.«
»Gar keine? Du schwindelst. Alle haben Geheimnisse.«
»Ich nicht.«
Iver sah mich an, es war etwas Erschrockenes, Hartes in seinem Blick.
»Freunde haben keine Geheimnisse voreinander«, sagte er.
»Kann schon sein.«
»Sonst sind sie keine Freunde.«
»Nein, wohl nicht.«
Iver holte ein Zigarettenpäckchen heraus, es war nur noch eine Zigarette drin, er zündete sie an, nahm einen tiefen, langsamen Zug, bevor er sie mir gab.
»Hast du das Buch gelesen?«, fragte er.
»Noch
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