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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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meiner Scharten und Atemlöcher. In ihnen lag das Kostbarste von allem, nicht nur Walrat, sondern auch die Leere, die ich früher oder später füllen musste, zunächst langsam und ruhig, dann immer schneller und schneller.
    Kapitän Ahab muss sich vor Kapitän Ahab hüten.
    An diesem Abend, am 20. Juli, im Sommer 1969, war das aber noch lange hin, und es war absolut unmöglich, sich überhaupt eine Fortsetzung vorzustellen. Wir standen jeder für sich da, festgelötet ans Gras und an die Stille. Lisbeth brach sie.
    »Scheiße, jetzt kriegt mein Vater bestimmt raus, dass ich eine Party hatte!«
    Ich wandte mich Heidi zu.
    »Ich glaube, ich werde meinem Freund folgen«, sagte ich.
    Heidi nickte, und ich hätte vielleicht zufrieden sein sollen, aber das war ich nicht, ich wollte, dass sie Nein ruft, dass sie mit mir gehen wollte, oder dass ich stattdessen mit ihr gehen sollte, ihr wohin auch immer folgen, und deshalb sagte ich das Gleiche noch einmal, als könnten diese hoffnungslosen Worte das, was bereits geschehen war, ungeschehen machen.
    »Ich glaube, ich werde meinem Freund folgen.«
    »Tu das.«
    Hätte sie nicht ebenso gut sagen können: Tu das nicht? Doch sie sagte diese Worte, tu das, nicht mehr und nicht weniger, tu das. Also folgte ich Iver Malt, aber natürlich war auch das zu spät. Alles war zu spät. Ich hoffte trotzdem, dass alles wieder sein könnte wie zuvor. Wie zuvor? Ich erinnerte mich nicht einmal daran, wie es gewesen war. Ein Auto holte mich ein und hielt an. Der örtliche Polizist kurbelte das Fenster herunter.
    »Hast du Schüsse in der Nähe gehört?«, fragte er.
    »Wieso?«
    »Die Gulliksen oben vom Pynten hat angerufen und behauptet, sie hätte einen Schuss gehört.«
    Diese alte Hexe, dachte ich. Soll sie der Teufel holen. Sie kam allen zuvor, obwohl ich sie ausgelöscht hatte.
    »Ach so.«
    »Bist du verletzt?«
    »Nein, wieso?«
    Der Polizist öffnete die Wagentür und zog mich freundlich aber entschlossen ins Auto.
    »Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten. Hast du irgendwelche Schüsse gehört? Und wenn du versuchst, mir was vorzulügen, dann kommst du in große Schwierigkeiten. Verstanden?«
    Ich erzählte so gut und wahrheitsgetreu ich konnte von dem, was passiert war. Das klang unzusammenhängend und unglaubwürdig. Ich hörte es selbst. Als ich fertig war, beugte sich der Polizist über das Lenkrad.
    »Henry? Wer ist Henry?«
    »Iver Malts Bruder. Halbbruder, meine ich.«
    »Der Deutschenbalg? Ist er zu Besuch?«
    »Nein.«
    Der Landpolizist packte mich bei den Schultern und drückte fest zu.
    »Nein? Du sitzt aber nicht hier und denkst dir was aus?«
    »Er war die ganze Zeit hier. Im Erdkeller.«
    Die Hand des Polizisten fiel hinunter.
    »Mein Gott.«
    »Er hat nicht auf uns gezielt.«
    Der Beamte fuhr das letzte Stück, hielt an dem Busunterstand an und stellte den Motor ab.
    »Das ist wichtig, Junge. War es der Vater, der das Gewehr hatte, als sie weggegangen sind?«
    »Ja. Aber es war nicht geladen. Er hat die Patrone rausgenommen.«
    »Du wartest im Auto. Verstanden?«
    Der Polizist ging in die Wildnis auf Signalen. Ich konnte nicht warten. Ich folgte ihm. Es war kein Problem, sich zu verstecken. Ich sah, wie er auf die Baracke zuging, deren Fenster leuchteten. Ein Stück davor blieb er stehen.
    »Malt!«, rief er.
    Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde und der Vater sich in das spärliche Licht in den Eingang stellte.
    »Du weißt, warum ich hier bin, Malt?«
    »Ja.«
    »Wo ist dein Gewehr?«
    »Es hängt an der Wand in der Werkstatt.«
    Der Beamte zeigte auf den Erdkeller, dessen Klappe geschlossen war.
    »Hast du jemanden da drinnen, Malt? Versteckst du jemanden da unten im Erdkeller?«
    »Jetzt nicht mehr, Herr Wachmann«, sagte der Vater.
    Ich sah, wie sie hinter ihm zum Vorschein kamen, Iver, die Mutter und Henry. Sie hätten für eine Familie gehalten werden können, eine glückliche, ganz normale Familie. Vielleicht waren sie es ja auch, zum ersten Mal, in diesem einzigen Moment, als alles zu Tage kam. Ich hörte Ivers Stimme, als ich mich umdrehte und weglief: »Jetzt sind sie gelandet.«

19
    L angsam ging ich nach Hause. Ich versuchte so langsam zu gehen, dass ich eigentlich gleich hätte umkehren können. Aber ich hatte keinen Punkt, an den ich hätte zurückkehren können. Henry hätte auf mich zielen und abdrücken sollen, nicht direkt ins Herz oder zwischen die Augen, sondern auf den Fuß, er hätte ganz einfach auf meinen rechten Fuß

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