Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
einen Goldfisch namens Mark.
Die Sekretärin, Blenda Johnson, die in allen Bereichen eine handfeste Dame war, ging mit ihm in den Konferenzraum hinauf, der im obersten Stock des Rathauses lag, in Karmacks stattlichstem Gebäude, wenn man die Kirche nicht mit einrechnete. Es war ein gemauertes Gebäude, errichtet 1908, als die Europäer hierher strömten, Polen, Deutsche, Italiener, Norweger und Iren, die zum Schluss eine gesegnete Mischung hartgesottener und sentimentaler Griesgrame hier in diesem kargen Distrikt bildeten. Vom Rathaus aus hatte man, wenn das Wetter es zuließ, freien Blick in zwei Himmelsrichtungen. Gegen Westen hin endete die Stadt an den Eisenbahnschienen, Unkraut und Sonnenuntergang hinter den braunen Hügeln, die fast gänzlich von glatt geschliffenen, ovalen Findlingen bedeckt waren, die die Gletscher in einer Zeit lange vor unserer zurückgelassen hatten. Im Osten zog sich die Union Avenue durchs Zentrum und hinaus zu den Wohngebieten und dem Snake River, der auch die Stadtgrenze bildete. Man hätte fast glauben können, dass diese beiden Aussichten nicht zur gleichen Landschaft gehörten, doch so war Karmack gelegen, mitten zwischen den Jahreszeiten, mitten zwischen Gebirge, Wüste und weiter Ebene, überhaupt mitten zwischen dem meisten. An diesem Morgen regnete es. Der Staub vom letzten Sommer lief in die Schächte. Frank Farrelli setzte sich vor die Kommission, und die Sekretärin schloss die Tür hinter sich. Niemand konnte sich so recht daran erinnern, wann diese Kommission eigentlich das Licht der Welt erblickt hatte, doch das musste bereits viele Jahre her sein, als es ernsthafte Anzeichen dafür gab, dass es mit Karmack den Bach hinunterging. Als die Züge hier nicht mehr hielten. Wenn die Züge einfach nur noch vorbeifahren, dann ist meistens alles im Eimer. Niemand kommt und niemand kommt mehr weg.
Frank Farrelli machte einen ordentlichen ersten Eindruck. Er trug eine graue Hose, eine Wildlederjacke und ein dunkles, kariertes Hemd. Die Schuhe waren frisch geputzt und die Fingernägel gereinigt und gefeilt. Was natürlich bemerkt wurde und zu seinem Vorteil ausfiel. Ein Übermittler hat nur eine einzige Chance, und die gilt es zu nutzen. Der Arzt reichte ihm ein Taschentuch. Frank Farrelli wusste nicht so recht, was er damit tun sollte, er hatte Angst, dass er schon schlecht davongekommen war, bevor er überhaupt den Mund geöffnet hatte.
»Sie waren früher bei der Eisenbahn angestellt?«
»Ich saß hinterm Schalter Drei.«
»Was haben Sie gemacht, seit der Bahnhof geschlossen wurde?«
»Ich habe mich nach Arbeit umgeschaut, mich um meine Mutter gekümmert und nachgedacht.«
Der Arzt schob einen Stapel Papiere zur Seite und gab dem Sheriff das Wort.
»Worüber haben Sie nachgedacht?«
»Über unterschiedliche Dinge. Das Leben. Die Zukunft. Diese Stadt.«
»Und was haben Sie so über das Leben und die Zukunft gedacht, Farrelli? Und über diese Stadt?«
»Dass man es so nehmen sollte, wie es kommt.«
Der Pfarrer beugte sich über den Tisch vor.
»Sie sind unverheiratet?«
»Das stimmt. Unverheiratet.«
»Und im Mai sind Sie 35 Jahre alt geworden. Haben Sie vor, sich zu verheiraten, eine Familie zu gründen?«
»Wie ich schon gesagt habe. Man sollte es nehmen, wie es kommt.«
»Na, das ist wohl Ihr Motto, Farrelli. Es so nehmen, wie es kommt.«
»Ja. Was sollte man denn sonst tun? Aber es geht darum, bereit zu sein.«
Der Pfarrer lächelte und gab dem Sheriff wieder das Wort, der geradewegs zur Sache kam.
»Warum haben Sie sich für diesen Posten beworben, Farrelli?«
»Wie gesagt, ich bin jetzt schon seit ein paar Jahren arbeitslos. Ich würde mich gern wieder nützlich machen.«
»Sie sind einverstanden mit der Besonderheit dieser Stelle?«
»Ich glaube, ich habe einen guten Überblick.«
»Ich frage mich eher, ob Sie imstande sind, die Aufgaben zu erfüllen, die Ihnen zugewiesen werden.«
»Ich glaube, ich bin in der Lage, diese Bürde zu tragen.«
»Auch unter schweren Bedingungen?«
»Wie gesagt, ich saß hinter Schalter Drei. Die Fahrgäste waren auch nicht immer einfach im Umgang. Besonders gegen Ende hin. Sie gaben mir die Schuld, dass die Züge nicht mehr anhielten. Ich empfand das als ungerecht. Trotz allem habe ich aber meine Arbeit bis zur letzten Minute geleistet. So bin ich nun mal.«
Der Pfarrer unterbrach ihn.
»Das hier ist ja wohl etwas anderes, Farrelli. Sie sollen Menschen begegnen, ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten, in
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