Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
richtete sich auf und schaute im Papier nach, doch da lagen nur zwei saftige T-Bones und keine Fingerspitze, die ihm gehörte.
»Zehn Taler«, sagte Bill.
»Zehn Taler? Du hast es doch gar nicht gewogen.«
»Wenn ich es wiege, kostet es zwölf. Nun mach schon.«
Frank suchte in seinen Taschen nach ein paar Scheinen und zog stattdessen das Taschentuch des Pfarrers hervor. Verdammter Mist, dachte er.
»Wenn du glaubst, du kannst mit deiner Rotzfahne bezahlen, dann irrst du dich, Farrelli.«
Da kam Frank in den Sinn, dass er sozusagen bereits seinen Posten angetreten hatte.
»Soll ich jemandem Bescheid sagen, dass du dich verletzt hast?«, fragte er.
Bill McQuire schaute ihn mürrisch an.
»Jemandem Bescheid sagen? Hast du total den Verstand verloren?«
»Ich habe doch nur gefragt, Bill. Ich wollte nett sein.«
Bill schnappte sich das Taschentuch aus Franks Hand und wickelte es sich um den kleinen Finger.
»Verdammt, Bill. Gib mir …«
»Soll ich hier verbluten, nur weil du mir nicht dein Taschentuch leihen willst?«
»Das ist nicht meins.«
»Wessen ist es dann?«
»Das gehört dem Pfarrer.«
Bill McQuire lachte laut auf.
»Dem Pfarrer? Kannst du dir kein eigenes Taschentuch leisten?«
Schließlich fand Frank das Geld und warf es auf den Tresen.
»Sei das nächste Mal vorsichtiger mit der Axt, Bill. Wir wollen doch keine weiteren Unfälle hier in Karmack haben, nicht wahr?«
Frank verließ den Laden mit den T-Bones unterm Arm, kam an ein paar mageren Jungs vorbei, die an der Ecke Union/River Street herumlungerten. Sie schauten ihm nach, rührten sich aber nicht. Es hatte längst keinen Sinn mehr, jemanden auszurauben, weil niemand etwas bei sich hatte. Und die Fleischstücke konnte Frank gern behalten. Dann überquerte er die Eisenbahngleise, watete durch das gelbe, feuchte Unkraut und kam in eine Gegend, in der zu beiden Seiten einer breiten, menschenverlassenen Straße flache Holzhäuser standen. Die Straße führte nirgendwohin, sondern hörte ganz plötzlich auf, dort wo Wildnis und Felsen anfingen. In vielen der zugewachsenen Gärten war ein Schild aufgestellt worden, und überall waren es die gleichen Schilder: zu verkaufen, zu mieten, zu pachten. Aber wer wollte hier etwas kaufen? Wer sollte sich hier niederlassen wollen? Es müsste jemand sein, mit dem mindestens etwas nicht stimmte. Der Wind, der hier immer wehte, kam von den Hügeln herab und ließ die verblichenen Hollywoodschaukeln quietschen und die Briefkästen klappern. Es klang wie eine Blechkapelle, die ohne Noten spielte. Diese erbärmliche Straße hieß April Avenue. Warum sie ausgerechnet diesen Namen bekommen hatte, blieb rätselhaft, aber die Ältesten meinten, dass früher einmal in dieser Gegend Magnolienbäume gestanden hatten, und die blühten und verwelkten ja wie alle wissen im Laufe eines einzigen Monats, nämlich im April. Frank Farrelli wohnte in dem vierten Haus auf der linken Seite, ein geduckter, eckiger Kasten mit Flachdach und einer überdachten Veranda, die die ganze Vorderfront entlanglief, auf der sein Vater abends gesessen hatte, Radio gehört, die Sportseiten in The Record gelesen, sich mit dem Nachbarn unterhalten und Bier getrunken hatte, wenn es Samstag war, genau wie die meisten Männer, nicht nur in der April Avenue, sondern in ganz Karmack, in der Zeit, als hier noch Leben herrschte, wenn er nicht draußen auf der Straße stand und den Chevrolet polierte, bis der wie ein riesiger Spiegel glänzte. Es war die Zeit, in der Präsident Hoovers Traum in Erfüllung gegangen war, ein Auto in jeder amerikanischen Garage und ein Hähnchen im Topf jeder Hausfrau. Die Dachrinne, die Vater nicht hatte reparieren können, hing immer noch schief. Frank schaute in den Briefkasten, bevor er ins Haus ging, Hallo rief, ohne dass jemand antwortete, sich umzog, das abwusch, was vom Frühstück noch dort stand, und Mark fütterte, der nicht mehr ganz so munter aussah, dafür war er ein verdammter Wutkopf. Dann warf er das Fleisch in die Pfanne und briet es gut durch, öffnete ein Bier, was er sonst selten tat, aber jetzt war so eine der seltenen Gelegenheiten, und er trank es aus, während er aus dem Fenster schaute. Viel gab es nicht zu sehen, nur die menschenleere Straße, ein blaues Fahrrad, das jemand ins Gras geworfen hatte, die Wäscheleine zwischen den Pfosten der Veranda, an der sein kariertes Flanellhemd waagerecht im Wind hing. Trotzdem gefiel Frank die Aussicht. Sie gehörte ihm. Schon als Knirps hatte er dort
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