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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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sich zusammen. Das Jammern wurde schlimmer, durchdringender, bis es ein Heulen war, in dem Nick die bodenlose, alle Empfindungen und Gedanken durchsetzende Verzweiflung spüren konnte, die ihr die Worte genommen hatte.
    Die Töne schüchterten ihn ein und verunsicherten ihn zutiefst. Sie waren wie Messerschnitte auf seiner Haut. Ganz egal was Mama sagt, dachte er. Das Mädchen ist komplett durchgeknallt. Aber vielleicht regt sie sich ab, wenn ich freundlich mit ihr rede. Wie Papa damals mit Nero.
    Doch was sollte er sagen? Keine Panik? Alles im grünen Bereich? Bleib cool? Oder einfach nur ein „Pscht“ von sich geben?
    „Also … ähm … weißt du, ich muss mich nicht unbedingt jetzt waschen.“ Er machte ein beschwichtigendes Zeichen. „Ich wollte heute Abend eh in die Wanne gehen. Zu Hause haben wir nur eine Dusche, da freue ich mich aufs Baden.“
    Lina schaute panisch umher und suchte ganz offensichtlich nach einer Fluchtmöglichkeit. Unwillkürlich trat Nick ein Stück zur Seite.
    Sofort hechtete sie an ihm vorbei, floh die Treppe hinunter und kurz darauf hörte Nick die Tür zum Kellergeschoss krachen.
    Offenbar nicht nur er. Das Bienengesumm verstummte für Sekunden. Nur seine eigenen, erregten Atemzüge klangen Nick noch in den Ohren.
    Shit! Womit hatte er Lina solche Angst eingejagt? Was war so schlimm daran, sich zu waschen? Oder eine Hand nach ihr auszustrecken?
    Nick schaute in die Badewanne, in der sich die Handtücher stapelten und es unmöglich machten, Wasser einlaufen zu lassen.
    Zögernd begann er, sie in den Schrank zu räumen. Und als er endlich den Hahn am Waschbecken aufdrehte, um sich zu waschen, dachte er an Linas Augen. An das pure Entsetzen darin, das abgrundtiefe Grauen. Den Schmerz. Die Erinnerung an diesen Blick durchbohrte ihn wie eine lange, kalte Stahlnadel. Er fühlte sich wie gelähmt.
    Eins war klar: Dieses Erlebnis eben hatte ihn nicht ohne einen kleinen Schock zurückgelassen.

5
    Es war eine Wohltat für Nick, auf die Terrasse zu treten und festzustellen, dass Lina nicht bei den anderen war. Hier gab es keine heulenden Töne und erst recht kein verstörtes Mangagesicht mit Filmleichenaugen. Was immer Lina auch im Keller treiben mochte, all das hatte sie mit sich genommen.
    Nicks Eltern waren im Aufbruch begriffen. Sie hatten auf ihn gewartet, um sich zu verabschieden. „Nick, wo bleibst du denn? Dein Vater will los und ich …“ Seine Mutter unterbrach sich. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
    Vier Augenpaare ruhten auf ihm.
    „Ich weiß nicht“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Ich habe eben Lina getroffen. Sie war im Bad. Und, na ja, sie hat sich seltsam benommen.“
    „Die Handtücher?“, fragte Marion.
    Er nickte. Das Unbehagen kehrte zurück. Aber er riss sich zusammen und schilderte den Vorfall haarklein. „Sie hat sich buchstäblich benommen wie eine Irre. Und genauso hat sie auch ausgesehen und sich angehört“, schloss er seinen Bericht. „Es war … es war echt gruselig.“
    „Sie ist nicht irre“, erinnerte ihn seine Mutter.
    „Okay, ja, das weiß ich. Aber sie ist zumindest ziemlich abgedreht. Und unheimlich.“
    „Ein bisschen“, pflichtete Thomas ihm bei. „Und das hat dir Angst gemacht?“
    „Was denkst du denn?“
    Marion erklärte sachlich, dass Lina sich offenbar panisch vor Wasser fürchtete. Auf eine eigenartig verdrehte Weise, die sie nicht ganz durchschauten. Sie betrat das Bad im Dachgeschoss nur, um die Badewanne mit Handtüchern vollzustopfen.
    Im Mühlenhaus ließen sie Lina gewähren, weil sie annahmen, dass diese Handlung für das Mädchen ein Ventil war, mit dem sie einen inneren Druck zu mildern versuchte.
    „Aber wie wäscht sie sich, wenn sie das Bad nie benutzt?“, platzte Nick heraus.
    Marion erinnerte ihn an die Waschmöglichkeit in der Sauna. Bei ihrem Einzug hatten sie nicht nur den Boden ausgebaut, sondern auch den Keller in ein Souterrain mit Sauna und Nasszelle verwandelt.
    „Da unten?“, wunderte sich Nicks Mutter. „Wie umständlich, jedes Mal vom Dachgeschoss bis da runterzugehen.“
    „Und das mehrmals am Tag“, pflichtete Marion ihrer Schwester bei. „Sie duscht zu oft. Zu lange. Und viel zu heiß. Außerdem verbraucht sie Unmengen an Duschgel. Manchmal kommt es mir vor, als würde sie sich aus dieser Welt herauswaschen wollen.“
    Nick, entgeistert: „Wie – sie duscht? Verstehe ich nicht: Wenn sie Angst vor Wasser hat, wieso duscht sie dann überhaupt? Das ist doch ver… unlogisch.“ Er konnte

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