Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Gesicht in Max’ Richtung. Jedes Mal traf sie auf ein Lächeln, und jedes Mal lief sie wieder rosa an und lächelte zurück.
Unvermittelt dachte Nick an Katharina.
Als Vanessa nach Hause musste, sprang Max ebenfalls auf. Gemeinsam verschwanden sie in Richtung der Ferienhäuser. Dabei gingen sie so dicht nebeneinander, dass ihre bloßen Arme sich streiften.
„Ahhh“, seufzte Miro zuckersüß. Er klimperte verzückt mit den Wimpern, wobei er lispelte: „Da sind aber zwei unglaublich verknallt.“ Und er tat so, als hätte ihm jemand in die Brust geschossen und sein Herz getroffen.
Die Jungen lachten. Einige Mädchen auch. Hübsch sahen sie aus, wie sie in der Abendsonne saßen, mit ihren weichen Gesichtern und ihren langen, herabhängenden Haaren, die bei jeder ihrer lebhaften Kopfbewegung mitwogten.
Everest machte sich einen Spaß daraus, an den hellen und dunkeln Strähnen zu ziehen. Nicht fest, gerade kräftig genug, um den Mädchen einen willkommenen Anlass zu bieten, gutmütig nach ihm zu schlagen und ihn anzuflachsen.
Gern hätte Nick es ihm nachgetan. Als es ihm bewusst wurde, machten sich seine Drachenohren bemerkbar.
Und plötzlich, ohne jede Vorwarnung, waren seine Gedanken bei honigblonden Haaren. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Lina fröhlich hier mitten unter ihnen säße. Wie er, Nick, dicht bei ihr sitzen und seine Hand nach ihrem Haar ausstrecken würde, um es zu berühren. Wie sie mit den anderen lachte!
Es gelang ihm nicht.
Er sah nur Linas Bleichgesicht und hörte diese furchtbaren Geräusche aus ihrem verzerrten Mund, die er am liebsten nie gehört hätte.
Nur widerwillig rappelte er sich auf, als es Zeit war zurückzufahren.
Am Mühlenhaus angekommen, stieg er vom Rad und stellte es in die Garage. Als er auf die Haustür zuging, entdeckte er Lina. Sie stand am Fenster des Sonnenzimmers und starrte vor sich hin.
Nick lächelte ihr zu und hob die Hand zu einem Gruß. Doch Lina verharrte weiter unbeweglich. Hatte sie ihn nicht gesehen? Wollte sie ihn nicht sehen? Er blieb stehen und versuchte es noch einmal. Er hob die Hand und winkte.
Sie reagierte nicht.
Dachte sie an ihr Zuhause? War sie in Erinnerung bei ihren Eltern, ihrer Mutter und ihrem Vater? Stiefvater, verbesserte er sich. Er ist ihr Stiefvater. Vielleicht dachte Lina aber auch an ihren Bruder, an Jan, und versuchte sich auszumalen, was mit ihm passiert sein könnte … oder sie fragte sich, ob er überhaupt noch lebte.
Bei dem Gedanken zuckte Nick zusammen. Er ließ die Hand sinken.
„Wenn ich sie doch nur dazu bringen könnte zu lächeln“, murmelte er vor sich hin. „Bloß einmal, ein klitzekleines Lächeln.“
Er grinste, so breit er konnte, hob beide Hände und winkte wie ein Fluglotse.
Abrupt verließ Lina ihren Platz am Fenster. Sie verschwand in den Schatten des Zimmers, als wäre sie einer von ihnen.
Nick seufzte und ging bedrückt ins Haus. „Ich fürchte“, sagte er laut zu sich selbst, „du wirst hier keine große Hilfe sein.“
Sie aßen ohne Lina zu Abend, ihr Platz am Tisch blieb leer. Bestimmt war das der Grund, warum Nick die Brote fad schmeckten.
Er war heilfroh, als Marion einen Teller für Lina zurechtmachte, den er ihr hinaufbringen sollte. Etwas, das Thomas und Marion bisher abwechselnd übernommen hatten. Denn Lina hatte nicht nur kein Wort gesprochen, sondern war auch den gemeinsamen Mahlzeiten ferngeblieben.
„Warte.“ Marion legte ein Stück Erdbeerboden dazu und sprühte Sahne darauf. „Damit sie was Süßes hat. So, nun marschier los.“
Nick ging zum Sonnenzimmer hinauf, klopfte kurz und öffnete die Tür. Dahinter saß Lina, wie aus einem Stück Holz geschnitzt, auf der Couch. Gerade und aufrecht, die Beine zusammengepresst und im rechten Winkel auf dem Boden stehend, die Arme einfach herabhängend. Sie glich einer Figur auf einem Totempfahl.
„Hi, Lina! Ich bin es: Nick. Du warst nicht beim Abendessen, deshalb bringe ich dir ein paar Brote.“
Sie zuckte mit keiner Wimper. Er gewann den Eindruck, sie hätte sogar das Atmen eingestellt, so völlig reglos saß sie da.
Langsam ging Nick in das Zimmer und stellte den Teller neben Lina auf den Beistelltisch, bereit, beim geringsten Mucks von ihr zu verschwinden.
„Marion hat gemeint, du hast vielleicht Lust auf was Süßes. Der Kuchen ist selbst gemacht. Wirklich gut!“
Er schob den Teller näher zu ihr, das Porzellan schabte über das Holz des Tischchens.
Lina schaute hin.
Sie fixierte den
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