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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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Teller.
    Und fing an zu zittern.
    Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Nick konnte die ersten Heultöne dahinter hören. Mit Entsetzen wartete er darauf, dass sie sich steigerten und steigerten, bis sie alles ausfüllen würden.
    Aber da sprang Lina auf! Sie nahm den Kuchen vom Teller, warf ihn auf den Boden und trampelte darauf herum, als wären die Früchte darauf giftige, kleine Tiere, die nach ihr schnappten und sie beißen wollten und die es galt zu töten, damit sie nicht selbst getötet wurde.
    Ihr ohnehin bleiches Gesicht wurde noch weißer, die Iris schienen sich dagegen zu verdunkeln, ihre Fäuste waren geballt. Erst als der Kuchen nur noch ein undefinierbarer, rötlicher Brei war, hielt sie inne.
    Mit ruckartigen Bewegungen wandte sie sich ab. Sie öffnete den Bettkasten. Nick fragte sich flüchtig, wo das Bettzeug war, das normalerweise darin aufbewahrt wurde, und dann, dann fragte er sich gar nichts mehr.
    Denn Lina stieg in den Kasten, kauerte sich zusammen und schloss den Deckel über sich.
    Als wäre es ein Sarg.
    Später, nachdem Nick sich einigermaßen von seinem Schrecken erholt, Marion den Laminatboden sauber gemacht und Thomas ihm erklärt hatte, dass Lina sich häufig in dem Bettkasten verkroch, später, als im Haus Ruhe eingekehrt war und Nick endlich in seinem Bett lag, fühlte er sich so durcheinander und hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken.
    Er stand auf. Ohne Licht zu machen, ging er zu seinem Bettkasten. Er klappte ihn auf, hockte sich hinein und schloss den Deckel.
    Stickig war es hier drin. Stickig und eng. Er konnte sich selbst riechen. Er fühlte seine angespannten Muskeln und Sehnen ebenso überdeutlich wie seine Knochen. Er hörte seine Lungen rascheln und sein Herz schlagen, beklemmende Geräusche – wie überhaupt alles hier drinnen beklemmend war.
    Was kann ihr diese Kiste bieten, dass sie ständig hineinklettert? Das hätte Nick zu gern gewusst. Zum Schluss hielt er es nicht mehr aus und schlich wieder zu Linas Zimmer.
    Er klopfte mehrmals an und rief flüsternd ihren Namen, ehe er zögernd die Tür einen Spaltbreit öffnete. Als nichts geschah, schlängelte er sich hindurch.
    Er hätte genauso gut in ein unbewohntes Zimmer treten können – wäre da nicht das kaum wahrnehmbare Reiben von Stoff gegen Holz im Bettkasten gewesen.
    Eine Weile verharrte er unschlüssig im Mondlicht, bevor er so ratlos verschwand, wie er gekommen war.
    Er lag schon wieder unter seiner Decke und schaute in die lumineszierenden Sterne über sich, als es ihm klar wurde: Der Bettkasten machte Lina unsichtbar. Es war, als wäre sie gar nicht im Raum, sondern bloß eine Art … Möbelstück.
    Lina wollte nicht gesehen werden.
    Aber von wem?
    Warum?
    Und weshalb geriet sie beim Anblick von Kuchen in Panik? Was hatte es mit der Wanne auf sich?
    Nick musste es herausfinden.
    Nein – er würde es herausfinden.
    Ganz bestimmt.
    Linas letzte Gedanken vor dem Einschlafen
    Heute ist der Junge gekommen, dem das blaue Zimmer gehört: Nick Ritter. Ich hoffe, dass er bald wieder geht.
    Nicht wegen mir, sondern wegen ihm. Ich glaube, er fürchtet sich vor mir. Ich glaube, er nimmt an, dass ich spinne. Aber ich kann nicht anders. Es ist, als würde ich versuchen einen Tsunami aufzuhalten: unmöglich!
    Schlaf gut, Jan – lefsch atg, Dirbra. Lefsch atg.

6
    Der Morgen von Nicks erstem Ferientag auf dem Mühlenhof verlief nicht viel anders als der Abend vorher. Und er kostete ihn genauso viel Nerven.
    Zuerst holte er das Bad nach, das er am Vorabend hatte ausfallen lassen – nicht jedoch, ohne zuvor Handtücher und Badelaken aus der Wanne zu klauben. Und obwohl er sich anschließend im Wasser rekelte, vermochte er es zu seinem Verdruss nicht hundertprozentig zu genießen.
    Wie sollte er, wo er doch wusste, dass Lina währenddessen unter einem kochend heißen Brausestrahl ihm Keller stand?
    Um halb neun frühstückte er mit Marion und Thomas. Wieder blieb Linas Platz unbenutzt. Wieder trug er das Tablett, das Marion ihm in die Hand drückte, in Linas Zimmer und wurde Zeuge, wie sie die frisch gepflückten Gartenerdbeeren darauf dem Fußboden gleichmachte, ehe sie wie ein Schachtelteufel im Bettkasten verschwand.
    Erneut fühlte er sich ohnmächtig. Er hatte nicht den kleinsten Schimmer, was er tun könnte! Kein Wunder, dass seine Tante und sein Onkel am Ende ihrer Weisheit waren.
    Er wandte sich ab, ging in sein Zimmer, um seine Schwimmsachen zu packen, weil Everest, Julius, Miro, Max, Luis und die übrigen

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