Der Sommerfaenger
sein.
Dem Täter keine Angriffsfläche bieten.
Wie aus dem Lehrbuch.
»Beckie hatte kein Problem damit, ihren Wagen hin und wieder zu verleihen«, vertraute Yasar Bert an. Er schluckte. »Sie klebte nicht am Besitz. Das war eines der vielen Dinge, die mich an ihr beeindruckten.«
»Haben Sie ihr das mal gesagt?«
»Nein.« Yasars Gesicht lief rot an. »Es war Beckie total gleichgültig, was andere von ihr hielten.«
Jammerschade, dachte Bert. Du hättest es ihr verraten sollen. So hat sie nie erfahren, welche Empfindungen du für sie hattest.
Er erkundigte sich nach Wagentyp, Farbe und Autonummer und wunderte sich nicht darüber, dass Yasar keine Sekunde überlegen musste.
Der junge Mann wünschte sich woandershin, das war deutlich. Das Gespräch hatte ihm etwas vor Augen geführt, das er sich selbst niemals eingestanden hätte. So war es oft, nachdem jemand durch Gewalt ums Leben gekommen war.
Der Tod öffnete Türen, die lange verschlossen gewesen waren.
Bert entließ den Pfleger und überdachte, was er gehört hatte. Dass Jette ausgerechnet heute, am Tag nach dem Überfall auf Mike, spontan den Dienst getauscht und sich Beckies Punto ausgeliehen hatte, wunderte ihn.
Wohin mochte sie gefahren sein? Und warum so plötzlich? Warum nicht an einem anderen, dienstfreien Tag, mit ihrem eigenen Wagen?
Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte ihre Nummer. Es meldete sich nur die Mailbox. Er wählte ihre Festnetznummer. Dort war Jette nicht und auch ihre Mitbewohner hatten nichts von ihr gehört. Ein vages Gefühl der Unruhe breitete sich in ihm aus.
Natürlich konnte es sein, dass Jette bloß eine Freundin besuchen oder Besorgungen machen wollte und dass sie sich spontan dazu entschlossen hatte.
Oder sie war auf dem Weg zu jemand anderem.
Zu Lukas Tadikken?
Der immer noch unter Verdacht stand, der Täter zu sein.
Ein Serienmörder, der innerhalb kürzester Zeit vier Menschen getötet hatte. Mit Mike und Merle wären es sogar sechs gewesen, denn Bert war sich sicher, dass auch der Überfall auf das Tierheim eigentlich Merle gegolten hatte.
Vermutungen. Es gab keinen hinreichenden Grund, in dieser Situation schwere Geschütze aufzufahren und nach Jette suchen zu lassen – noch dazu an einem Samstagabend.
Bert beschloss, zunächst die Befragungen fortzuführen. Außerdem musste er sich mit Röllner absprechen, wer Beckies Eltern über den Tod ihrer Tochter informieren sollte. Vielleicht würde Jette ja zwischenzeitlich hier auftauchen, um Beckies Wagen wieder abzuliefern. Hoffentlich.
Er bat Frau Stein, alle Mitarbeiter, die Dienst hatten, in den Speisesaal zu rufen. Dann versuchte er ein weiteres Mal vergeblich, Tessa zu erreichen.
Wahrscheinlich hatte sie ihr Handy zu Hause gelassen, um sich mal einen Tag Ruhe zu gönnen. Es gab einige Kollegen, die das taten, und in einem fernen Winkel seines Gehirns konnte Bert sie sogar verstehen, wenn es auch nicht sein eigener Stil war.
»Verdammt!«, zischte er. »Wo sind Sie, Tessa? Ich brauche Sie hier!«
*
Die Hunde schlugen an, und Merle, die gerade auf dem Weg zum Büro war, drehte sich um und sah Jettes Wagen durch das Tor fahren. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Mike und Ilka waren eine halbe Stunde zu früh.
Sie winkte und ging ihnen entgegen.
»Hattet ihr solche Sehnsucht nach mir, dass ihr es nicht erwarten konntet?«, rief sie über das hysterische Kläffen der Hunde hinweg.
Doch als die beiden ausstiegen, erkannte sie sofort, dass etwas passiert sein musste. Kein Lächeln, kein Wort, nur diese Leichenbittermienen.
Leichenbitter…
Merle zuckte zusammen.
Wie kam sie dazu, so ein Wort in ihren Kopf zu lassen?
Sie ging ganz langsam, um nicht auf einmal loszurennen.
Schwer atmend blieb sie schließlich vor ihren Freunden stehen und musterte forschend die Gesichter. Erst als Mike sanft ihre Finger von seinem Hemd löste, wurde ihr bewusst, dass sie sich an ihm festgekrallt hatte.
»Hat er noch nicht angerufen?«, fragte Ilka leise.
»Wer?«
Merle begriff nicht, warum sie so vorsichtig und fürsorglich waren. Da musste die Angst in ihr doch über die Ufer treten.
»WER?« Sie schrie es beinah.
Die Hunde, die sich gerade beruhigt hatten, gerieten erneut außer Rand und Band, doch als sich nichts Dramatisches ereignete, waren sie wieder still.
»Der Kommissar.«
Mike legte Merle die Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich warm und vertraut an. Das half aber nicht gegen das Gefühl, gleich komplett durchzudrehen.
»Mit uns hat er
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