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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Waldboden war weich und nachgiebig unter meinen Füßen. Die Zweige, die sich mir entgegenstreckten, konnte ich ohne Kraftaufwand beiseiteschieben.
    Endlich stand ich am Rand der Lichtung.
    Und wurde ganz ruhig.
    Ich war angekommen.
    Alles war gut.
    *
    Bis auf die Männer, die das Essen geliefert hatten, waren sämtliche Personen, die an diesem Tag in irgendeiner Weise im St . Marien beschäftigt gewesen waren, im Speisesaal versammelt. Die Stimmung war gedrückt. Alle warteten schweigend darauf, dass Bert das Wort ergriff.
    Frau Stein hatte zwei weitere Mitarbeiter gebeten, kurzfristig einzuspringen, weil sie die Heimbewohner nicht unversorgt lassen durfte.
    »Nicht einmal für eine Viertelstunde«, hatte sie zu Bert gesagt. »Die Aufregung im Haus ist Gift für sie. In so einer Stimmung sind sie unberechenbar.«
    Bert stellte seine Fragen und notierte die Antworten.
    Niemand hatte mit Jette gesprochen. Keiner hatte eine Ahnung, wohin sie mit Beckies Auto gefahren war. Yasar, der das engste Verhältnis zu den Mädchen gehabt hatte, wusste ebenfalls nichts Hilfreiches beizusteuern.
    Die Essenslieferanten würde Bert später anrufen. Von ihnen erwartete er ohnehin nichts Erhellendes, denn sie hatten das Essen auf direktem Weg in die Küche gebracht und waren gleich weitergefahren.
    Eine Sackgasse, dachte er und schickte die Leute wieder an die Arbeit. Es war Zeit, sich mit einigen Heimbewohnern zu unterhalten.
    Jettes Arbeitsplan gab nur einen einzigen Hinweis auf eine konkrete Person.
    Sieh nach Frau Sternberg. Sie steht kurz vor dem Absturz.
    »Wieso Absturz?«, fragte Bert die Heimleiterin, die ihn auf dem Weg zu der alten Dame begleitete.
    »Demenzkranke leiden unter oft extremen Stimmungsschwankungen. Frau Sternberg ist ein Paradebeispiel dafür. Ihre guten Phasen werden immer kürzer, die depressiven länger, und jedes Mal taucht sie ein klein wenig verwirrter aus ihnen auf als zuvor. Der Begriff, den Jette da gewählt hat, ist durchaus treffend . Vom einen auf den andern Moment kann ein Demenzkranker in tiefster Schwärze versinken.«
    »Jette hat eine besondere Beziehung zu der alten Dame, wenn ich mich nicht irre«, sagte Bert.
    »Das stimmt. Obwohl ich meine Mitarbeiter immer davor warne, ihr Herz an einzelne unserer Bewohner zu hängen. Dieser Beruf zerstört einen, wenn man die Distanz verliert.«
    Sie waren bei der Tür zu Frau Sternbergs Zimmer angelangt. Frau Stein klopfte an und drückte gleich darauf die Klinke nieder.
    So viel zum Thema Würde, dachte Bert, der sich an Krankenzimmer erinnert fühlte, in denen jeder ein- und ausging, wie es ihm passte.
    Frau Sternberg saß in einem gemütlichen Sessel am Fenster, die Hände auf dem Schoß verschränkt. Die Strümpfe an ihren dünnen Beinen warfen Falten. Ihre Füße steckten in klobigen dunklen Schuhen.
    Sie schaute lächelnd auf.
    »Besuch. Wie schön.«
    »Guten Abend, Frau Sternberg«, sagte Bert und zog sich einen Stuhl heran. »Wir haben schon einmal miteinander gesprochen. Mein Name ist Bert Melzig. Ich bin bei der Kriminalpolizei.«
    »Daran erinnere ich mich nicht.«
    Frau Sternbergs Lächeln vertiefte sich.
    »Wissen Sie, ich bin ziemlich vergesslich geworden. Aber ich weiß noch, dass ich am Meer gewesen bin. Heute oder gestern. Fast glaube ich, wir hatten dort einmal ein kleines Haus. Manchmal weiß ich etwas und dann war es doch nur ein Traum.«
    Frau Stein war bei der Tür stehen geblieben. Bert war ihr dankbar für ihre Diskretion.
    »Ich wüsste gern, ob Sie Jette heute gesehen haben«, tastete er sich vor.
    Jetzt strahlte die alte Dame ihn an.
    »Jette ist zauberhaft«, sagte sie. »Ich unterhalte mich so gerne mit ihr und oft liest sie mir vor. Sie hat eine wunderschöne Stimme, finden Sie nicht?«
    »Oh ja.« Bert nickte. »Und heute? Hat sie Ihnen da auch vorgelesen?«
    »Nein. Ich hatte leider keine Zeit. Ich musste mich doch ausruhen, bevor …«
    Etwas wischte das Strahlen von ihrem Gesicht und verdunkelte ihre Augen.
    »… bevor …«
    Bert wartete ruhig ab.
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    Frau Sternberg neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ängstlich Berts Gesicht.
    »Hat das Mädchen etwas ausgefressen?«
    »Nein.« Bert berührte kurz ihre Hand, zarte Knochen und Sehnen unter dünner, fleckiger Haut. »Ich würde ihr bloß gern einige Fragen stellen.«
    »Ist dem Kind etwas zugestoßen?«
    Hartnäckig, drängend hielt ihr Blick seinen fest. Die Schönheit ihrer alten, blassen Augen mit den zartvioletten Schatten darunter

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