Der Sommerfaenger
Tilo besonders gern mochte. Lauwarmen Ziegenkäse mit Honig auf Salat. Wildlachs mit grünen Nudeln. Und Kirsch-Crumble mit Vanilleeis.
Imke wusste nicht, was sie von Jettes Besuch halten sollte. Ihr Abschied am Vormittag war mehr als frostig gewesen, und sie bezweifelte, dass Jettes Stimmung sich zwischenzeitlich gebessert hatte.
Während sie den Stuhl zurückschob und aufstand, kam der Peugeot zum Stehen.
Nur Ilka, Mike und Merle stiegen aus.
Tilo runzelte die Stirn und schaute Imke fragend an. Doch da war sie schon bei der Tür.
Sie empfing die jungen Leute mit einer kurzen Umarmung.
»Wo ist Jette?«
Sie bemühte sich, der Panik, die in ihr lauerte, keinen Raum zu geben.
Es kann ihr nichts zugestoßen sein. Ich habe sie doch erst heute Morgen gesehen und da war sie gesund und munter.
Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Jette hatte blass und bedrückt gewirkt.
Mike und Ilka konnten Imke nicht in die Augen sehen. Einzig Merle hielt ihrem Blick stand, doch es schien sie große Überwindung zu kosten.
»Sie ist mit dem Wagen ihrer Kollegin Beckie unterwegs«, antwortete Mike.
Imke fragte nicht, warum Jette ihren eigenen Wagen verliehen hatte, um sich dann den ihrer Arbeitskollegin zu borgen. Sie wollte nur eines wissen.
»Wohin?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Aber …« Imke suchte in Merles Gesicht nach Zeichen, die sie deuten könnte. »Aber das ist noch nicht alles, nehme ich an.«
»Nein.« Merle schüttelte den Kopf. »Ist es nicht.«
»Spann mich nicht auf die Folter, Merle. Sag mir, was los ist.«
»Versprechen Sie mir, dass Sie sich nicht aufregen?«
Das war exakt die richtige Aufforderung für Imke, um völlig außer sich zu geraten. Dennoch zwang sie sich, zustimmend zu nicken.
»Beckie … ist ermordet worden.«
Imke griff sich an den Hals.
»Beckie? Woher … wer hat euch …«
»Der Kommissar.«
Warum musste sie solche Hiobsbotschaften von den Freunden ihrer Tochter überbracht bekommen? Wieso hatte der Kommissar nicht zuallererst bei ihr angerufen?
Imke spürte eine Berührung an der Schulter, dann zog Tilo sie an sich.
Es tat ihr gut, die Wärme seiner Hand zu spüren, die sich tröstend auf ihren Nacken legte. Umso mehr traf sie die nächste Empfindung wie ein Schock.
Sie wünschte sich den Kommissar an Tilos Stelle und seine Stimme, die ihr leise Worte zuflüsterte.
Erschüttert wich sie zurück.
»Wie ist es passiert?«, fragte sie leise.
Doch der Kommissar hatte nur nach Jette gefragt und keine weiteren Informationen preisgegeben. Das würde er auch ihr gegenüber nicht tun. Er war in erster Linie Polizist und das würde ewig so bleiben.
Tilo lud die jungen Leute ein, mit ihnen zu Abend zu essen, und als sie am Tisch saßen, versuchten sie, unbeschwert zu tun und einander gegenseitig zu beruhigen.
Ohne Erfolg.
Jeder wusste, dass Jettes Verschwinden mehr als Grund zur Sorge gab.
*
Ich stellte Beckies Wagen am Ende eines holprigen kleinen Waldwegs ab, über den sich wie Schlangen oberirdische Baumwurzeln wanden. Hier war er so gut wie nicht zu entdecken. Wanderer bevorzugten die ausgewiesenen Wanderwege und ein Forstfahrzeug war hier auch nicht zu erwarten.
Jetzt waren es nur noch ein paar Meter bis zum Blockhaus und das Herz schlug mir bis zum Hals.
Ich würde Luke sehen .
Der Albtraum der vergangenen Tage war zu Ende. Luke hatte mich nicht freiwillig verlassen und er war zu mir zurückgekehrt.
Die Vögel hatten aufgehört zu singen.
Es war in diesem Wald still und feierlich wie in einer Kirche.
Eine Baumwurzel brachte mich zum Stolpern. Ich geriet ins Straucheln.
Sah mich plötzlich wieder flüchten.
Damals.
Das Strauchwerk zerfetzte mir die Bluse und verfing sich in meinem Rock, es zerkratzte mir Arme und Beine und versuchte, mich mit seinen dürren Fingern festzuhalten, ich hörte mich keuchen und fühlte die kalte Hitze der Angst in mir, Tränen liefen mir aus den Augen, meine Muskeln fingen an zu schmerzen, und überall hörte ich seine Schritte …
Ich blieb stehen. Atmete.
Luke war nicht Gorg. Er wollte mich nicht tö…
Es gelang mir nicht, das Wort auch nur zu denken, aber ich merkte, dass es in mir gewesen war, die ganze Zeit.
Langsam ging ich weiter.
Jetzt konnte ich das Dach des Blockhauses durch die zarten Blätter der jungen Bäumchen schimmern sehen, die sich überall selbst gesät hatten. Noch einmal drehte ich mich um mich selbst, um zu prüfen, ob mir nicht doch jemand gefolgt war, dann beschleunigte ich meine Schritte.
Der
Weitere Kostenlose Bücher