Der Sommerfaenger
Moos.
Die Lautlosigkeit, die nur vom Summen einer Hummel unterbrochen wurde.
Es war nicht gut.
Ich hatte vergessen wollen, was mir in so einem Wald zugestoßen war.
Und nun war ich hier, in einem anderen Wald, unterwegs zu einem anderen Mann, von dem ich ebenso wenig wusste, wie ich über Gorg gewusst hatte.
Doch meine Wahl war getroffen.
Ich kehrte zu Beckies Wagen zurück. Bemühte mich, langsam zu gehen.
Damals war ich gerannt. Um mein Leben.
*
Das Gesicht der Heimleiterin war wie erstarrt. Es hatte alle Farbe verloren. Frau Stein kauerte in einem der Sessel in der Nähe des Eingangs. Nichts erinnerte mehr an die robuste, selbstbewusste Frau, die ihr Gegenüber mit einem einzigen Blick in die Schranken weisen konnte.
Jemand hatte ihr einen Becher Tee auf den niedrigen Holztisch gestellt. Sie hatte ihn nicht angerührt.
Bert setzte sich ihr gegenüber. Das Leder des Sessels knarrte unter seinem Gewicht. Der Duft des Tees stieg ihm in die Nase.
Kamille.
Der Geruch seiner Kindheit. Das Heilmittel gegen Bauchweh, Zahnschmerzen und Erkältungen.
Aber auch nach jeder Prügelattacke seines Vaters hatte die Mutter Kamillenblüten für Bert aufgegossen, und während er ihn in vorsichtigen Schlucken trank, war sie bei ihm sitzen geblieben und hatte mit ihm geweint.
Bert hasste Kamillentee.
Heute noch.
Frau Stein hob den Kopf und sah ihn an. Sie war nicht der Typ, dem die Tränen kamen. Frauen wie sie weinten innerlich und machten sich damit kaputt.
»Hat sie lange leiden müssen?«, fragte sie.
Bert schüttelte den Kopf, und ihm war nicht wohl dabei. Jede Sekunde unter Schmerzen und Todesangst war eine Ewigkeit.
»Eigentlich hatte sie gar keinen Dienst«, sagte Frau Stein mit einer Stimme, der jede Kraft fehlte. »Hätte sie sich an die Vorschriften gehalten …«
»Sie hat Jette vertreten. Wissen Sie, aus welchem Grund?«
»Nein. Ich hätte es ja auch gar nicht erfahren, wenn Beckie nicht … wenn man sie nicht …«
»Kann es sein, dass dieser Yasar etwas weiß, was er für sich behält?«
»Nein, das glaube ich nicht.« Frau Stein hielt kurz inne, dann schüttelte sie bekräftigend den Kopf. »Nein. Nicht nach dem, was passiert ist.«
»Wer war heute Nachmittag im Haus?«
»Warten Sie … Jette, Yasar, zwei Krankenschwestern, die Küchenhilfen, der Elektriker und die Leute, die das Essen anliefern. Wir haben zwar eine Küche, bereiten aber nicht sämtliche Mahlzeiten komplett zu.«
Sie schluckte.
»Und Beckie natürlich … Ich kann Ihnen eine Namensliste ausdrucken, wenn Sie wollen.«
»Das wäre hilfreich.«
Bert nickte dankbar.
»Frau Stein, wissen Sie, ob Beckie Feinde hatte?«
»Ich kenne das Privatleben meiner Mitarbeiter nicht, Herr Kommissar. Ich kann nur beurteilen, was ich während der Arbeitszeit beobachtet habe, und da ist mir nichts dergleichen aufgefallen. Beckie ist … war … freundlich und kollegial. Sie kam gut mit den übrigen Mitarbeitern zurecht, überschritt niemals ihre Kompetenzen und beschwerte sich nicht, wenn ich sie mal bat, länger zu bleiben. Die Heimbewohner haben sie geliebt. Sie fand immer das rechte Wort, hatte für jeden Verständnis. Beckie wollte Ärztin werden, wissen Sie, und weiter mit Demenzkranken arbeiten. Sie … war ein Glücksfall für uns.«
»Hatte sie einen Freund? Familie? Lebte sie allein?«
»So viel ich weiß, lebte sie allein. Sie hat für den Notfall Anschrift und Telefonnummer ihrer Eltern hinterlegt. Die gebe ich Ihnen gern. Gott, ich wollte, ich könnte mehr tun, Herr Kommissar.«
»Eine Frage noch, Frau Stein. Ist Ihnen heute oder in den vergangenen Tagen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Die Antwort kam prompt.
»Nur dass Beckies Wagen nicht auf dem Parkplatz steht.«
»Haben Sie dafür eine Erklärung?«
»Nein, aber fragen Sie doch Yasar. Die Mitarbeiter wissen da meistens mehr als ich.«
Ein paar Meter weiter war der Pfleger weiterhin damit beschäftigt, die Bewohner, die von den sich immer rascher ausbreitenden Gerüchten angelockt wurden, zu beruhigen und wieder fortzuschicken.
Ein Polizeibeamter übernahm. Bert bat Yasar zur Seite und erkundigte sich nach dem Wagen des Opfers.
»Ich kann mir nur vorstellen, dass Jette ihn genommen hat.«
»Besitzt Jette nicht ein eigenes Auto?«
»Doch, aber heute ist sie gebracht worden.«
»Gebracht? Von wem?«
»Von Ilka und Mike, und die sind dann mit Jettes Peugeot wieder weggefahren.«
Sie versuchten, sich zu schützen, indem sie es vermieden, allein zu
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