Der Sommerfaenger
schon gesprochen …«
Merle hielt den Atem an.
Sag es nicht. Sag es nicht. Bitte, bitte sag es nicht …
»Er war auf der Suche nach Jette. Sie ist nicht im St . Marien .«
Merle hatte es von Anfang an gewusst. Doch sie akzeptierte es nicht.
»Nicht im St . Marien ? Natürlich ist Jette im St . Marien . Wo soll sie denn sonst sein?«
»Merle …«
Mike konnte einen manchmal angucken wie ein Dackel und ab und zu konnte einen das ganz schön nerven. War er hier der Tröster vom Dienst oder was?
»Und selbst wenn – was geht das denn die Bullen an? Überprüfen die jetzt, ob man blaumacht oder nicht?« Sie hörte selbst, was für einen Unsinn sie redete, aber sie konnte nicht aufhören. »Kommt man dafür neuerdings in den Knast?«
»Beckie ist tot«, sagte Ilka.
Merle hatte plötzlich einen starken Druck auf den Ohren, so wie bei ihrem ersten und bisher einzigen Flug, kurz nachdem das Flugzeug vom Boden abgehoben hatte.
Beckie?
Das konnte nicht sein. Ilka musste sich irren.
Wieso tot? Beckie war doch kerngesund gewesen.
Du weißt genau, was das bedeutet.
»Sie ist ermordet worden.« Mikes Stimme zitterte. Er war mit den Nerven am Ende. »Und Jette ist mit ihrem Punto weggefahren.« Seine Stimme klang müde und ein klein wenig reumütig, als hätte er besser auf Jette aufpassen müssen. »Hat sie irgendwas angedeutet, Merle? Weißt du, wo sie stecken könnte?«
»Also doch.«
»Wie bitte?«
»Ich hab sie angerufen und sie klang irgendwie komisch.«
»Kannst du das ein bisschen genauer erklären?«
»Sie war nicht bei der Sache. Als hätte sie was … anderes im Kopf gehabt.«
»Wann hast du denn mit ihr telefoniert?«, fragte Ilka.
»Hab nicht auf die Uhr geguckt. Irgendwann zwischen drei und vier. Ich hab es später noch ein paar Mal versucht, aber sie ist nicht rangegangen. Wann hat sie denn das Heim verlassen?«
Sie wussten es nicht.
»Es kann eine ganz harmlose Erklärung dafür geben«, sagte Ilka. »Wir sollten uns nicht unnötig aufregen. Der Mord an Beckie muss nichts damit zu tun haben, dass Jette ver… dass sie weggefahren ist.«
Sie meinte es gut, doch Merle wusste genau, welches Wort Ilka verschluckt hatte.
Verschwunden klang absolut nicht harmlos.
Es klang grottengefährlich.
Merle hatte eine Scheißwut auf Jette und sie war zutiefst enttäuscht. Aber beide Gefühle wurden von einer feinen, hartnäckigen Angst überdeckt, die nicht danach fragte, ob sie berechtigt war oder nicht.
*
Schon bald halb acht.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich hier mit Jette zu verabreden. Vielleicht hätte er sich was anderes ausdenken sollen. Doch in einem so kleinen Ort wie Birkenweiler hatten die Wände Augen und Ohren.
Nein. In Birkenweiler hätte er nicht auftauchen dürfen, nicht mal in der Nacht. Ebenso wenig im St . Marien . Und Imke Thalheim in seine Überlegungen einzubeziehen, wäre völlig absurd gewesen. Niemals hätte sie einem Treffen zugestimmt, das ihre Tochter in Gefahr bringen konnte.
Luke hatte im Blockhaus ein paar Übungen gemacht, um seine Muskeln zu entspannen. Dann hatte er versucht zu meditieren, um innere Ruhe zu finden.
Es hatte nichts gebracht. Seine Anspannung war zu groß.
Und wenn er Kristof und seine Leute gar nicht abgehängt hatte? Wenn sie überhaupt nicht mehr hinter ihm her gewesen waren, sondern einfach in Ruhe abgewartet hatten, dass Jette sie zu ihm führte?
Kristof hatte noch nie fair gekämpft.
Skrupellos nutzte er Geld, Macht und Menschen für seine Zwecke.
Vor allem seinen hirnlosen Roboter Ron.
Luke spuckte aus. Diejenigen, die an das Gute im Menschen glaubten, hatten Ron noch nicht kennengelernt.
Er trat ins Freie und horchte.
Kein Motorengeräusch, keine Schritte. Nur das Zwitschern der Vögel hoch oben in den Bäumen. Luke zog sich in den Schutz einiger Sträucher zurück, die am Rand der Lichtung wuchsen. Von hier aus hatte er alles im Blick, ohne selbst entdeckt werden zu können.
Beeil dich, Jette, dachte er. Und sei vorsichtig.
Er wünschte, er hätte diese Verabredung nie getroffen.
26
Als Imke den Wagen ihrer Tochter auf der Auffahrt erblickte, saß sie gerade mit Tilo beim Abendessen. Draußen tanzten ganze Mückenschwärme, und sie hatte keine Lust gehabt, sich zerstechen zu lassen. Deshalb hatte sie im Wintergarten gedeckt.
Sie hatte ein Versöhnungsmenü zubereitet, um sich bei Tilo dafür zu entschuldigen, dass sie ihn und seine Worte mit Jesus und der Bergpredigt verglichen hatte. Es gab lauter Gerichte, die
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