Der Sommermörder
Jahr her, aber er spricht noch immer mit der zittrigen Stimme eines Menschen, der sich angestrengt bemüht, nicht zu weinen. Detective Links erinnerte mich an beide. Zuzusehen, wie er sich eine Zigarette anzündete, war eine spannende Angelegenheit. Seine Finger zitterten so sehr, dass er es kaum schaffte, das Streichholz länger als eine Mikrosekunde an das Ende des Glimmstängels zu halten. Er stellte sich an, als stünde er im Mastkorb eines Nordseefischdampfers und nicht in meinem relativ zugluftfreien Wohnzimmer.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte ich. »Soll ich Ihnen was zu trinken bringen? Vielleicht eine Tasse Tee?«
Links wollte etwas sagen, aber ein heftiger Hustenanfall hielt ihn davon ab, sodass er nur den Kopf schütteln konnte.
»Oder lieber ein Glas heiße Zitrone mit Honig?«
Er schüttelte erneut den Kopf. Nach einer Weile zog er ein schmutzig aussehendes Taschentuch aus der Tasche und wischte sich damit über die Augen. Als er schließlich wieder genug Luft bekam, sprach er so leise, dass ich mich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen. »Es geht um …«
Er legte eine Pause ein. Offenbar hatte er den Faden verloren. »Den Zutritt. Ich meine, um die Frage, wer hier Zutritt hat.«
»Ja«, antwortete ich müde. »Das haben Sie schon gesagt.
Ist das nicht ein bisschen viel Aufwand wegen eines einzelnen perversen Briefs? Da haben Sie sich nämlich einiges vorgenommen. Ich bekomme oft Besuch. Mein Freund war ziemlich viel hier. In dieser Wohnung gehen ständig Leute ein und aus. Ein paar Monate lang war ich nicht da, und eine Freundin von mir hat hier gewohnt. In der Zeit scheint die Haustür quasi für jedermann offen gewesen zu sein.«
»Wo ist diese Freundin jetzt?«, fragte Links. Seine Stimme war kaum mehr als ein jämmerliches Keuchen.
»In Prag, glaube ich. Sie wollte dort noch eine Weile arbeiten, bevor sie nach Perth zurückgeht.«
Links blickte sich nach seinem Kollegen um. Der andere Beamte, Detective Inspector Stadler, sah ein wenig verlebt aus, aber doch irgendwie attraktiv. Bisher war er völlig passiv gewesen. Er hatte glattes, zurückgekämmtes Haar, hervortretende Wangenknochen und dunkle Augen, die er ununterbrochen auf mich gerichtet hielt, als wäre ich sehr, sehr interessant, wenn auch auf eine etwas eigenartige Weise – nicht so sehr wie eine Frau, sondern eher wie ein Autounfall. Jetzt ergriff er zum ersten Mal das Wort:
»Haben Sie eine Ahnung, wer Ihnen diesen Brief geschrieben haben könnte? Hat es in letzter Zeit ähnliche Vorfälle gegeben? Vielleicht irgendwelche bedrohlichen Anrufe? Oder seltsame Begegnungen?«
»O ja, jede Menge seltsame Begegnungen«, antwortete ich. Links spitzte die Ohren und hatte dadurch nicht mehr ganz so viel Ähnlichkeit mit einem Zombie. »Zu meinem Job gehört, dass ich jede Woche mehrere fremde Häuser betrete. Ich sollte vielleicht dazusagen, dass ich keine Einbrecherin bin.« Über ihre Gesichter huschte nicht die Spur eines Lächelns. »Mein Partner und ich arbeiten als Entertainer auf Kinderfesten. Sie können sich nicht vorstellen, was man da für Leute kennen lernt. Glauben Sie mir, wenn man vom Vater der Fünfjährigen, für die man gerade eine Vorstellung gegeben hat, nach Strich und Faden angemacht wird, während die Mutter in der Küche die Kerzen auf dem Kuchen anzündet – da verliert man schnell die Achtung vor der menschlichen Natur.«
Links drückte seine erst halb gerauchte Zigarette aus und zündete sich eine neue an.
»Miss, ähm …« Er warf einen Blick auf sein Notizbuch.
»Miss, ähm …« Offenbar bereitete es ihm Schwierigkeiten, seine Notizen zu entziffern. »Ähm, Blake. Wir haben, ähm, Grund zu der Annahme, dass im Moment, das heißt, in den letzten, ähm, Monaten, weitere Frauen von der betreffenden Person ähm … belästigt worden sind.« Er sah dabei immer wieder zu Stadler hinüber, als erhoffte er sich von ihm moralische Unterstützung.
»Ein Ziel unserer Nachforschungen wird daher sein herauszufinden, wie diese Fälle zusammenhängen, das heißt, falls sie überhaupt zusammenhängen.«
»Wer sind die anderen Frauen?«
Links musste wieder husten. Stadler unternahm keinen Versuch, für ihn einzuspringen. Er saß lediglich da und starrte mich an.
»Nun ja«, sagte er schließlich, »zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es vielleicht nicht, ähm, ratsam, konkrete Details preiszugeben. Das könnte sich für unsere weiteren Ermittlungen als hinderlich erweisen.«
»Befürchten Sie, ich könnte
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