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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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alles wieder gut werden würde.

    Pauline begrüßte mich mit eisiger Höflichkeit, als ich schließlich eintraf. Sie erklärte mir, ein Mann namens Fred habe angerufen und lasse mir ausrichten, ich solle ihn im Lauf des Tages auf seinem Handy zurückrufen. Sie schien nicht gerade begeistert darüber zu sein, für eine zu spät kommende Lehrerin Nachrichten von deren Freund entgegennehmen zu müssen. Die Vertretung, die für mich eingesprungen war, hatte die Schüler in Plastikkittel gesteckt und sie mit dicken Pinseln Farben zusammenmi-schen lassen. Deswegen forderte ich die Kinder auf, ein Bild von sich zu malen, das sie dann vor dem Elternabend an die Wand des Klassenzimmers hängen konnten. Raj malte sich mit braunen Haaren und einem blassrosa Gesicht, bei dem die Beine direkt aus dem Kinn heraus-ragten. Eric, der niemals lächelte, gab sich einen roten Mund, der von einem Ohr zum anderen reichte. Stacey verschüttete ihr Wasser über das Ergebnis von Taras Bemühungen, woraufhin Tara ihr einen Schlag verpasste.
    Damian fing so bitterlich zu weinen an, dass ihm die Tränen aufs Blatt tropften. Als ich ihn beiseite nahm und mich nach dem Grund seines Kummers erkundigte, antwortete er, alle würden auf ihm herumhacken, ihn Memme nennen, auf dem Spielplatz ärgern und immer wieder auf der Toilette einsperren. Nachdenklich betrachtete ich ihn: ein bleiches, schniefendes kleines Etwas mit schmutzigen Ohren, dem seine viel zu weiten Sachen um den dürren Körper schlotterten.
    Fred wollte, dass ich ihm an diesem Abend beim Fußballspielen zusah. Sie spielten jeden Mittwoch, immer fünf gegen fünf, erklärte er – ein regelmäßiger Programmpunkt in ihrem Männerleben. Er klang gut gelaunt und gleichmütig, als wäre am Vorabend nicht das Geringste vorgefallen. Er erzählte mir, dass er gerade damit beschäftigt sei, in einem Vorstadtgarten abgeblühte Rosen zurückzuschneiden, dabei aber ständig an meinen Körper denken müsse.
    Pauline teilte mir mit, dass ich meinen Bericht über die Fortschritte meiner Schüler bis Ende der Woche abliefern müsse. Ob das machbar sei, wollte sie wissen. »Natürlich«, antwortete ich, klang dabei aber wohl nicht sehr überzeugend. Ich hatte inzwischen rasende Kopfschmerzen. Normalerweise mache ich auf dem Weg in die Schule immer an einem Sandwich-Stand Halt und kaufe mir ein Brötchen mit Käse und Tomaten, aber an diesem Tag hatte ich nicht daran gedacht. So kam es, dass ich bei der dicken Frau in der Cafeteria Salzkartoffeln mit Bohnengemüse bestellte, während die anderen Lehrer gesunde Sandwiches und Obst verspeisten. Anschließend genehmigte ich mir noch eine große Portion Pudding mit Vanillesoße. Das Essen tat mir gut. Danach ging es mir gleich viel besser.
    Nach der Pause ließ ich die Kinder immer wieder den Buchstaben F schreiben, wobei sie darauf achten mussten, den gepunkteten Linien auf ihren Arbeitsblättern zu folgen. F für Fuchs und Frosch und fröhlich. »Und ficken«, verkündete der vierjährige Barny, der als Augustbaby der Jüngste seiner Klasse war. Seine Freunde johlten bewundernd.
    In unserer Gesprächsrunde, die wir regelmäßig abhielten, diskutierten wir über das Schikanieren von Klassenkameraden. Ohne zu Damian hinüberzusehen, sprach ich darüber, wie wichtig es sei, dass alle versuchten, nett miteinander umzugehen. Die Kinder starrten mich mit ihren grausamen, unschuldigen Augen an. Damian, der ganz in meiner Nähe saß, zupfte verlegen am Teppich herum, während seine Augen hinter den dicken Brillengläsern in Tränen schwammen.
    »Besser?«, fragte ich ihn, nachdem der Rest der Klasse gegangen war.
    »Mmm«, murmelte er mit hängendem Kopf. Ich sah, dass sein Hals genauso schmutzig war wie seine Nägel.
    Plötzlich empfand ich so etwas wie Wut auf ihn. Am liebsten hätte ich ihn gepackt und seine Hoffnungslosigkeit aus ihm herausgeschüttelt. Vielleicht war ich zurzeit ja genauso, dachte ich: Vielleicht ließ ich genau wie er zu, dass man mich schikanierte.

    Es ist erstaunlich, wie viel Lärm zehn Männer machen können. Sie verständigten sich nicht bloß durch Zurufe untereinander, nein, sie grunzten, schrien, heulten, brüllten, schlugen hart auf dem Boden auf, knallten mit voller Wucht ineinander und traten sich gegenseitig so heftig gegen das Schienbein, dass ich die Knochen krachen hörte. Erstaunlicherweise kam es zu keinen größeren Handgreiflichkeiten, es floss kein Blut, und es musste auch niemand verletzt vom Platz getragen

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