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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mir gab, würde es nur noch schlimmer machen. Das Lächerliche daran war, dass ich, verglichen mit allen anderen Leuten, die ich kannte, ein richtiges Nonnenleben führte. »Letztes Jahr hat es zwei Männer gegeben, mit denen ich mich hin und wieder getroffen habe – mit denen ich zusammen war, wenn Sie so wollen.« Aus den Blicken der beiden konnte ich schließen, dass sie mir diese niedrige Zahl nicht so ganz abnahmen. »Die letzte Sache ist Monate her.«
    »Sind Sie im Streit auseinander gegangen?«
    Ich musste daran denken, wie ich Stuart in einem Café in der Nähe von Camden Lock gegenübergesessen hatte. Ich stieß ein trauriges Lachen aus. »Man könnte eher sagen, das Ganze ist einfach im Sand verlaufen. Wie auch immer, ich habe kürzlich gehört, dass er zurzeit durch Australien trampt. Sie können ihn von Ihrer Liste der Verdächtigen streichen.«
    Carthy steckte seinen Kugelschreiber ein und stand auf.
    »Kollege Aldham wird mit Ihnen ein Formular ausfüllen und eine kurze Aussage aufnehmen.«
    »Was werden Sie unternehmen, um ihn zu schnappen?«
    »Sollte tatsächlich noch mal etwas vorfallen, rufen Sie Aldham an. Dann werden wir sehen, was zu tun ist. Ach ja, und seien Sie in nächster Zeit ein bisschen vorsichtig, was Ihr Privatleben betrifft.«
    »Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich einen Freund habe.«
    Mit einem kurzen Nicken wandte er sich zum Gehen und murmelte dabei etwas vor sich hin, das ich nicht verstand.

    8. KAPITEL
    ch kam noch später in die Schule, als ich angekündigt hatte.
    I Nach dem Besuch im Polizeirevier war ich so müde, dass ich befürchtete, meine Beine würden mir den Dienst versagen. Unter dem Baumwollkleid fühlte sich meine Haut staubig, ja fast sandig an. Meine Kopfhaut juckte, und meine Schultern waren total verspannt. Als ich in die gleißende Sonne hinaustrat, begann es in meinen Augen schmerzhaft zu pochen. Ich kniff sie zusammen und wühlte in meiner Tasche nach der Sonnenbrille.
    Verdammt. Ich hatte sie zu Hause vergessen, ebenso wie meine Vitamintabletten. Von meinen Zigaretten war auch nur noch eine einzige übrig. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, in meine Wohnung zurückzukehren, ein Bad zu nehmen und ein wenig zur Ruhe zu kommen, ehe ich in die Schule aufbrach. Oder mich wenigstens in einen der nahe gelegenen Parks ins sonnenverbrannte Gras zu legen und die Augen zu schließen oder den Enten zuzusehen.
    Stattdessen kaufte ich an einem Kiosk neben der Straße zwei Schachteln Zigaretten und eine billige Sonnenbrille und schlich dann schuldbewusst in ein schmuddeliges Café, wo ich zwei Tassen schwarzen Kaffee und Rührei auf Toast bestellte. Während ich langsam aß, beobachtete ich die Leute, die draußen vor dem schmutzigen Fenster vorübergingen. Ein Rasta mit einer gelben Kappe. Ein Teenagerpärchen, das Arm in Arm dahinschlenderte und alle paar Meter stehen blieb, um sich zu küssen. Eine Gruppe japanischer Touristen mit Fotoapparaten und um die Hüften gebundenen Pullis. Bestimmt hatten sie sich verlaufen. Ein Mann mit einem Baby im Tragetuch, von dem ich nur das flaumige Köpfchen sehen konnte. Eine Frau, die das kleine, rotgesichtige Kind an ihrer Seite laut anschrie. Eine Inderin in einem scharlachroten Sari, die sich bemühte, mit ihren feinen Sandalen nicht in Hundescheiße oder anderen Dreck zu treten. Eine mit Schwimmsachen bewaffnete Horde von Schulkindern, die von einer genervt wirkenden jungen Frau, die mich an mich selbst erinnerte, über die abgasverpestete Straße getrieben wurde. Ein Radfahrer in leuchtend gelben Shorts, der konzentriert den Kopf gesenkt hielt, während er sich durch den Verkehr schlängelte. Eine Frau mit breitrandigem Hut, Atombusen und einem winzigen Pudel, die aussah, als wäre sie in den falschen Film geraten.
    Ich selbst war ebenfalls in den falschen Film geraten.
    Womöglich beobachtete er mich gerade wieder. Vielleicht könnte ich ihn sogar sehen, wenn ich wüsste, in welche Richtung ich schauen sollte. Was hatte ich verbrochen, dass mir so etwas widerfahren musste? Ich zündete mir eine Zigarette an und trank meinen lauwarmen, bitteren Kaffee. Inzwischen war es schon so spät, dass ein paar weitere Minuten auch keinen Unterschied mehr machen würden.
    Bevor ich in der Kingsland Road in meinen Bus stieg, kam ich an einer Telefonzelle vorbei und empfand plötzlich den irrwitzigen Drang, meine Mutter anzurufen.
    Meine Mutter, die schon seit zwölf Jahren tot war. Ich wollte einfach von ihr hören, dass

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