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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Kuchen und macht in regelmäßigen Abständen verrückte, sinnlose und völlig unnötige Diäten. Sie trägt Röcke, bei deren Anblick Pauline ihre schön geschwungenen Augenbrauen hebt, und dazu hohe Plateauschuhe, T-Shirts mit seltsamen Logos, riesige Ohrringe und einen Stecker im Nabel. Sie ist klein, selbstbewusst, eigensinnig und beharrlich. Sie hat ein markantes, entschlossen wirkendes Kinn und eine Stupsnase. Nichts scheint sie aus der Ruhe bringen zu können. Sie hat etwas von einem Grubenpony.
    Als ich an der Laurier School anfing, nahm Louise mich unter ihre Fittiche, obwohl sie selbst auch erst ein Jahr dort unterrichtete. Sie gab mir Tipps für den Unterricht, warnte mich vor problematischen Eltern, teilte mittags ihre Sandwiches mit mir, wenn ich vergessen hatte, mir selbst welche mitzubringen, und half mir mit Tampons oder Aspirin aus. Sie war mein einziger Fixpunkt in dem großen, sich ständig wandelnden Chaos, das London für mich darstellte. Auch jetzt war sie wieder zur Stelle, um mein Leben in Ordnung zu bringen.
    Wir begannen mit der Küche. Als Erstes spülten wir das schmutzige Geschirr und räumten es ordentlich in den Schrank. Dann säuberten wir die Arbeitsflächen, fegten den Boden und putzten das winzige Fenster, das auf den Garten hinter dem Pub hinausging. Louise bestand darauf, die Töpfe und Pfannen herunterzunehmen, die ich über dem Herd aufgehängt hatte.
    »Lass uns mehr freie Flächen schaffen«, meinte sie und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um, als hätte sie sich von einer Sekunde auf die andere in eine überkritische Innenarchitektin verwandelt.
    Im Wohnzimmer, das nur drei mal vier Meter groß war, leerte sie die überquellenden Aschenbecher aus, schob den Tisch unters Fenster, sodass ein Teil der abblätternden Tapete verdeckt war, drehte die fleckigen Sofakissen um und staubsaugte den Teppich, während ich meinen ganzen Papierkram zu Stapeln ordnete und alles wegwarf, was ich nicht mehr brauchte.
    »Sind das die ganzen Briefe?«, fragte Louise und deutete auf die Pappschachtel.
    »Jap.«
    »Richtig unheimlich. Warum wirfst du sie nicht weg?«
    »Soll ich? Ich hab mir gedacht, dass die Polizei sie vielleicht noch braucht.«
    »Wozu? Die Briefe von dem Perversen bewahrst du doch sowieso separat auf. Kipp das Zeug in den Müll, wo es hingehört.«
    Sie hielt eine Mülltüte auf, in die ich all die lavendelfarbenen Umschläge, die mit grüner Tinte beschriebenen Briefe, die Anweisungen zur Selbstverteidigung und die vielen traurigen Lebensgeschichten hineinstopfte. Hinterher ging es mir gleich viel besser. Louise zog los, um in der Holloway Road ein paar Blumen zu kaufen, während ich mit einem alten Waschlappen das Bad putzte. Sie kam mit gelben Rosen fürs Wohnzimmer und einer Topfpflanze mit fleischigen Blättern für die Küche zurück.
    »Du solltest klassische Musik spielen, wenn er kommt.«
    »Ich habe nichts, worauf ich Musik spielen könnte.«
    »Dann koch Kaffee für ihn. Back einen Kuchen. Das kommt immer gut an.«
    »Ich besitze bloß Instantkaffee, und selbst wenn ich alle Zutaten im Haus hätte, was nicht der Fall ist, würde ich mich bestimmt nicht hinstellen und einen blöden Kuchen backen!«
    »War ja nur so eine Idee!«, sagte sie eine Spur zu munter, während sie die Rosen frisch anschnitt. »Dann leg einfach ein bisschen Parfüm auf. Sag mal, kann ich diesen Krug als Vase benutzen? Na, sieht das nicht schon besser aus?«
    Viel besser. Nun, da Louise da war – Louise mit ihren stachligen Wimpern, ihrem knallrot geschminkten Mund, dem zinnoberroten Nagellack und dem engen grünen Kleid –, herrschte in dem Raum auch gleich eine ganz andere Atmosphäre. Gar nicht mehr wie in einem Sarg, sondern wie in einem ganz normalen, wenn auch etwas heruntergekommenen Zimmer mit Blick auf ein Pub.
    »Diese ganze Geschichte hat mich richtig aus der Bahn geworfen«, sagte ich.
    Louise füllte den Wasserkessel. »Wo zum Teufel steckt man das Ding hier ein? Es ist keine Steckdose frei. Das ist auch so eine Sache, die bei deiner Wohnung dringend nötig ist – die ganze Elektrik muss von Grund auf erneuert werden.« Mit einer schwungvollen Bewegung zog sie einen anderen Stecker aus der Dose. »Du kannst jederzeit bei mir aufkreuzen und auch bleiben, wenn dir damit geholfen ist. Ich habe zwar kein freies Bett, aber ein freies Fleckchen Boden. Komm doch gleich dieses Wochenende, wenn du magst.«
    Ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Dankbarkeit laut

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