Der Sommermörder
Anwalt zu nehmen. Ein paar Leute riefen für Josh an: sein Geigenlehrer, dieser Hack aus dem Computerclub – er sagte, Josh habe ihn gebeten, ihm ein Computerspiel vorbeizubringen –, und Marcus, einer von seinen Freunden, außerdem ein paar von meinen beziehungsweise Clives Freunden, denen zweifellos zu Ohren gekommen war, dass bei uns etwas nicht stimmte.
Ich wimmelte sie alle mit ausweichenden Antworten ab, bemühte mich dabei aber, ihnen keine allzu krassen Lügen aufzutischen.
Angesichts des Zustands, in dem ich mich befand, hielt ich es für besser, frühzeitig zum Flugplatz aufzubrechen, sodass ich mir ein Taxi bestellte und anschließend hektisch durchs Haus lief, um alle Fenster zu schließen und die Vorhänge halb zuzuziehen. Ich hatte Mary angerufen. Sie würde abends vorbeikommen und Licht machen. Wobei es sowieso nicht mehr viel zu stehlen gab.
Sollten sich die Einbrecher doch bedienen! Plötzlich kam mir ein Gedanke. Der lange Flug. Bequeme Schuhe. Ich besaß ein Paar schöne blaue Leinenslipper. Wo waren sie nur? Hatte ich sie nach dem Umzug überhaupt ausgepackt? Jetzt fiel es mir wieder ein. Auf dem Schlafzimmerschrank. Ich rannte nach oben. Im Schlafzimmer – unserem Schlafzimmer, hätte ich vor nicht allzu langer Zeit gesagt – blickte ich mich kurz um. Ich konnte nichts entdecken, was ich vergessen hatte.
Es klopfte an der Tür. Nicht an der Haustür, nein, an der Schlafzimmertür.
»Mrs. Hintlesham?«
»Ja?«, antwortete ich erschrocken.
Ein Gesicht spähte durch den Türspalt herein. Einen Moment lang war ich völlig irritiert. Sie wissen, wie das ist, wenn man ein Gesicht nicht in seiner normalen Umgebung, sondern an einem völlig anderen Ort sieht. Ein gut aussehender junger Mann in Jeans, T-Shirt und schwarzer Arbeitsjacke. Langes dunkles Haar. Wer war das bloß?
»Hack. Was tun Sie …«
»Das ist nicht mein richtiger Name. So nenne ich mich nur, um die Jungs zu beeindrucken.«
»Wie lautet denn Ihr richtiger Name?«
»Morris«, antwortete er. »Morris Burnside.«
»Hören Sie, Morris Burnside, ich bin ziemlich in Eile.
Ich muss gleich zum Flughafen.«
»Das Spiel«, sagte er und fuchtelte mit einem knallbunten Päckchen herum. »Ich habe angerufen, erinnern Sie sich? Sie müssen entschuldigen, aber die Tür stand offen, und da bin ich einfach reinmarschiert. Ich habe unten nach Ihnen gerufen.«
»Oh. Sie haben Glück, dass Sie mich noch erwischen.
Das Taxi kann jeden Moment kommen.«
Erst jetzt bemerkte ich, dass er keuchte, als wäre er gerannt.
»Ja, ich bin wirklich froh, dass ich Sie noch angetroffen habe, weil … es ist nicht nur wegen des Spiels. In der Abendzeitung stand, dass gegen Ihren Mann Anklage erhoben worden ist.«
»Was? O Gott! Ich habe schon befürchtet, dass so was passieren würde.«
»Es tut mir wirklich Leid, Mrs. Hintlesham. Und ich weiß, wie schwierig das für Josh sein wird.«
»Ja, da haben Sie Recht. Augenblick, ich hole nur schnell diese Schuhe vom Schrank. So, da haben wir sie ja.«
»Deswegen bin ich gleich gekommen, um mit Ihnen zu reden. Wissen Sie, ich habe über die Sache nachgedacht.
Mr. Hintlesham kann es nicht gewesen sein.«
»Das ist nett von Ihnen, ähm, Morris, aber …«
Ich schlüpfte in die Schuhe. Es war fast schon Zeit aufzubrechen.
»Nein, es ist nicht bloß das. Ich weiß, wie Ihr Mann seine Unschuld beweisen kann.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es ist absolut narrensicher. Wenn man Ihre Leiche findet, werden die von der Polizei wissen, dass er es nicht gewesen sein kann.«
»Was?«, fragte ich benommen. Eine Welle der Panik durchlief meinen Körper.
Er war nur einen Schritt von mir entfernt, und mit einer ruckartigen Bewegung ließ er etwas über meinen Kopf sausen, das sich eine Sekunde später um meinen Hals zusammenzog. Nun stand er so knapp vor mir, dass ich seinen heißen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte, während er auf mich herunterblickte.
»Jetzt kannst du nicht mehr sprechen.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Sein Gesicht war dem meinen so nah, dass er mich hätte küssen können, wenn er gewollt hätte. »Du kannst kaum noch atmen. Ein Ruck, und du bist tot.« Sein Gesicht war rot angelaufen, als wäre ihm sein ganzes Blut zu Kopf gestiegen, und er starrte mich aus kalten Augen an, aber als er weitersprach, klang seine Stimme fast zärtlich. »Das spielt nun alles keine Rolle mehr. Es gibt nichts, was du tun könntest.«
Ich verlor die Kontrolle über meinen Körper. Plötzlich
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