Der Sommermörder
Mensch wie du und ich, nur ein bisschen jünger. Zumindest ein bisschen jünger als ich.
Er war groß und trug eine lässige graue Hose, ein T-Shirt und darüber eine abgewetzte alte Jacke, die für das tropische Wetter viel zu warm aussah. Er hatte eine helle Haut und dunkles, schulterlanges Haar. Alles in allem sah er ganz passabel aus und war überhaupt nicht so maulfaul, wie man sich diese Computerheinis immer vorstellt.
»Hallo«, sagte er und streckte mir die Hand entgegen.
»Ich bin Morris Burnside. Der Computermann.«
»Phantastisch«, sagte ich. »Phantastisch. Ich bin Nadia.«
Ich bat ihn herein.
»Einbrecher?«, fragte er, nachdem er sich einen Moment umgesehen hatte.
»Nein, ich habe Sie doch schon am Telefon vor meinem Chaos gewarnt. Bei mir ist demnächst Großputz angesagt.
Steht ganz oben auf meiner Liste.«
»Sie verstehen wohl keinen Spaß? Ich find’s nett hier.
Die große Terrassentür ist schön.«
»Ja, und erst der Garten! Der steht auch auf meiner Liste. Allerdings ein bisschen weiter unten.«
»Wo ist der Patient?«
»Hier durch, bitte.« Die streikende Maschine befand sich in meinem Schlafzimmer. Als Schreibtischstuhl fungierte mein Bett. »Möchten Sie eine Tasse Tee?«
»Kaffee, bitte. Mit Milch, aber ohne Zucker.«
Erst wollte ich sehen, wie er mein Problem in Angriff nehmen würde. Auf eine perverse Weise hatte das Ganze etwas von einem Arztbesuch. Wenn sich das Wehwehchen, mit dem man gekommen ist, als etwas einigermaßen Ernstes entpuppt, ist man irgendwie stolz, weil man dem Arzt etwas zu bieten hat, das seine Aufmerksamkeit verdient. Wenn sich dagegen herausstellt, dass einem so gut wie nichts fehlt, empfindet man das als ziemlich beschämend. Ich wünschte mir einerseits einen gesunden Computer, wollte aber andererseits Computerdoktor Morris eine angemessene Herausforderung bieten. Er sollte nicht das Gefühl haben, umsonst gekommen zu sein. Mein Wunsch ging nicht in Erfüllung.
Morris zog seine Jacke aus und warf sie aufs Bett.
Überrascht musterte ich ihn. Ich hatte damit gerechnet, dass er lange, dünne Arme haben würde, aber sie waren muskulös und sehnig. Vor mir stand ein breitschultriger, durchtrainierter junger Mann. Mit meinen einsfünfundfünfzig und meiner zierlichen Figur kam ich mir neben ihm vor wie eine Zwergin.
»Space Buddy«, sagte ich.
»Was?« Einen Moment lang sah er mich fragend an.
Dann blickte er an sich hinunter und lächelte. »Mein Shirt? Ich weiß auch nicht, wer sich diese Sprüche ausdenkt. Wahrscheinlich irgendein Computer in Japan, bei dem jemand die Drähte falsch zusammengesteckt hat.«
»Also«, wechselte ich das Thema. »Wie Sie sehen, tut sich bei der Kiste gar nichts mehr. Normalerweise drücke ich auf eine Taste, und es passiert zumindest irgendwas, aber diesmal kann ich drücken, so viel ich will – ohne jeden Erfolg.« Er setzte sich aufs Bett und nahm den Bildschirm in Augenschein. »Dass da Fehlertyp achtzehn steht, hilft mir auch nicht weiter«, fuhr ich fort. »Als ob damit irgendwer was anfangen könnte! Ich habe mir schon überlegt, ob es nicht am besten wäre, einfach den Stecker rauszuziehen und anschließend zu versuchen, das Ding neu zu starten, aber dann hatte ich Bedenken, was kaputtzumachen.«
Morris lehnte sich ein wenig vor. Mit der linken Hand drückte er mehrere der größeren Tasten am linken Rand der Tastatur und tippte dann mit der rechten auf die Returntaste. Der Bildschirm wurde einen Moment schwarz, dann startete der Computer neu.
»War’s das?«, fragte ich.
Er stand auf und griff nach seiner Jacke. »Wenn es wieder passiert, drücken Sie gleichzeitig diese drei Tasten und die Returntaste. Falls das nicht funktioniert, befindet sich auf der Rückseite des Computers ein kleines Loch.«
Er hob ihn hoch und blies ein bisschen Staub weg. »Hier.
Schieben Sie ein Streichholz hinein. Das klappt fast immer. Sollte das alles nichts bringen, dann ziehen Sie den Stecker.«
»Tut mir wirklich Leid«, erklärte ich verlegen. »Ich bin einfach ein hoffnungsloser Fall, was diese technischen Dinge anbelangt. Eines Tages lerne ich es. Ich mache einen Kurs.«
»Sparen Sie sich die Mühe«, meinte er. »Frauen sind nicht dafür geschaffen, Computer zu bedienen. Dafür gibt es schließlich Männer.«
Ich war ein bisschen in Eile, weil ich noch meine Sachen zusammensuchen musste, hatte aber das Gefühl, ihn nicht einfach so abschieben zu können. »Jetzt kriegen Sie Ihren Kaffee«, erklärte ich. »Falls
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