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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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verspäten!
    »Saxon.«
    »Was?«
    Ein Gentleman hätte jetzt »Ja, bitte?« gesagt, überlegte Tina. Saxon war heute wirklich nicht in Bestform; andauernd tat er Dinge, die sie daran erinnerten, wo seine Wurzeln lagen.
    »Halt einen Moment an. Wir müssen reden.«
    Er fuhr langsamer.
    »Fahr bitte da hinein.« Sie deutete auf eine schmale Seitenstraße, noch so eins von diesen verlockenden, einsamen Sträßchen, wo die grünen Wiesen von weißem Mädesüß durchsetzt waren. Saxon bog mit mürrischem Gesicht ab, und der Wagen holperte langsam über den ungepflasterten Weg.
    Als er den Motor abgestellt hatte und es still war, fragte sie: »Was hat er damit gemeint – ich lass dich in Ruh, und du lässt mich in Ruh?« Sie wusste genau, was der Einsiedler damit meinte, aber sie war immer noch sauer auf Saxon, weil er kein Gentleman war und weil sie ihn verletzen wollte.
    Er lief rot an. Mürrisch murmelte er: »Er geht mit meiner Mutter, das weißt du doch.«
    »Ja, tut mir leid.«
    »Warum fragst du dann, wenn du’s schon weißt?«
    »Entschuldige, Saxon, es tut mir leid, ehrlich. Ich bin gemein. Aber – ach, es ist alles so kompliziert !«, rief sie affektiert aus, doch ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Er starrte stur geradeaus auf den Feldweg, umflort von den sich wiegenden Blumen, zart wie Spitze und die einen süßen Duft verströmten, der die Luft erfüllte. Nie hatte er in ihren Augen jünger, unreifer, mürrischer und unerzogener ausgesehen, ein richtiger Bauernflegel.
    Doch dann geschah ein kleines Wunder. Im selben Moment, in dem Tina, zornig und niedergeschlagen, sich zu Saxon, aufgebracht und alarmiert, hinbeugte, schlang er die Arme um sie und küsste sie leidenschaftlich.
    »Komm, lass uns nicht streiten«, murmelte er zwischen Küssen, »ich weiß auch nicht, was plötzlich mit mir los ist.«
    Pause.
    »O mein Schatz, du liebst mich, oder? Du liebst mich. Bitte sag’s. Das ist es … bitte, sag’s, mein Schatz.«
    »Ich liebe dich«, brummelte er schamrot. Dann richtete er sich plötzlich auf und starrte sie an. Tina hielt den Atem an. Sie konnte sehen, wie er seine mit ihm durchgegangenen Gefühle wieder festzurrte und dann begutachtete.
    »Ich glaub’, ich lieb’ dich wirklich«, stieß er verdattert hervor. Er starrte sie an. »Du süßes kleines Ding«, sagte er und stürzte sich wieder auf sie.
    »Saxon«, sie stemmte ihre kleine Hand gegen seine Brust und hielt ihn zurück. »Ich bin fünfunddreißig. Wie alt bist du?«
    »Werd’ im Dezember dreiundzwanzig.«
    Sie zwang sich, es auszusprechen. »Dann bin ich zwölf Jahre älter als du.« Wie grausam die Wahrheit sein kann. »Aber du wusstest, dass ich viel älter bin als du, oder?«
    »Ja.« Er musterte still ihr zartes Gesicht, die roten Wangen, die großen, leuchtenden Augen. Wie hübsch sie war. »Aber so alt auch wieder nicht. Du siehst nicht so alt aus. Feine Damen sehen nie so alt aus. Du hast nie hart arbeiten müssen, so wie meine … deshalb sehen ungebildete Frauen auch so alt aus.«
    »Dann macht es dir nichts aus, dass ich viel älter bin als du?«, beharrte sie.
    »Ist sowieso egal, ob’s mir was ausmacht oder nicht, es ist nun mal so«, sagte er mit der gnadenlosen Ehrlichkeit der Arbeiterklasse, an die sie sich jetzt gewöhnen musste. »Du kannst nichts für dein Alter. Mir macht’s nichts aus, wenn’s dir nichts ausmacht.« Und er beugte sich wieder vor. Es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren.
    »Es macht mir was aus, aber es hat keinen Sinn …« Der Rest ihrer Worte ging unter.
    Als sie sich wieder aufsetzte und ihr Haar glattstrich, sagte sie in nüchternem Ton: »Also, was machen wir jetzt?«
    »Wo das herkam, gibt’s noch mehr«, antwortete er mit einem frechen Grinsen und schob seine Mütze in den Nacken. Die Sonne schien ihnen warm ins Gesicht, sogar die Ledersitze waren aufgeheizt, wie sie unter ihrer bloßen Hand spürte.
    »Nein«, lachte sie, »im Ernst. So kann’s nicht weitergehen, Saxon, denn dieser schreckliche alte Mann wird bestimmt wiederkommen und mehr verlangen, und je mehr wir ihm geben, desto mehr wird er haben wollen. Und ich hab bloß siebzig Pfund.«
    »Ich hab einundzwanzig. Und der soll’s bloß wagen, uns weiter zu erpressen. Aber ich glaub nicht, dass er viel mehr machen wird. Der redet doch bloß. Wenn ich ihn zufriedenlasse und nichts gegen ihn und Mutter sage, wird er uns in Ruhe lassen, der alte Mistkerl.«
    Diesmal entschuldigte er sich nicht für den Kraftausdruck. Er

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