Der Sommernachtsball
sich schon vor vier Jahren abgewöhnt, als er beschloss, was aus sich zu machen. »Es ist das Beste, wenn man offen sagt, was man denkt«, meinte er und lobte damit unbewusst die Ehrlichkeit, die er so an ihr bewunderte. »Da kann man nichts falsch machen.«
»Hm«, meinte Tina zweifelnd, »das kommt darauf an, wie man es sagt. Man will den anderen schließlich nicht verletzen. So was tut man nicht.«
Er nickte. Tina konnte regelrecht sehen, wie der ungewohnte Gedanke, dass Bildung und Höflichkeit irgendwie zusammengehörten, in seinem Kopf gemahlen wurde, so wie das Getreide in der Mühle seines Vaters. Es machte ihr eine Riesenfreude, ihm etwas beizubringen, ihn »erziehen« zu können. Nie hätte sie gedacht, als sie sich aus romantischer Schwärmerei danach sehnte, allein mit ihm über staubige kleine Landstraßen zu fahren, dass ein Großteil ihrer Freude darauf beruhen könnte, ihm auszutreiben, doppelte Verneinung zu gebrauchen. Ihre mütterlichen Instinkte, ihre leichte Neigung zur Pedanterie und ihre Gefühle als Frau, die sich gezwungen gesehen hatte, einem jüngeren Mann Avancen zu machen, wurden alle dadurch befriedigt, dass sie Saxon darauf hinwies, er solle nicht »keiner nicht« sagen. Oh, die Liebe geht manchmal verschlungene Wege.
Nie hätte sie sich vorstellen können, dass man derart glücklich sein konnte. Kein Wunder, dass ich mich halb tot gefühlt habe, dachte sie; ich muss wohl unbewusst gespürt haben, wie viel mir entgeht. Es ist, als würde man einen Bruder, ein Kind und einen Spielkameraden in einem haben.
So ähnlich muss wohl eine glückliche Ehe aussehen.
Aber diesen Gedanken schob sie sofort wieder beiseite.
Jeden Vormittag fuhren sie hinaus, durch stille, einsame Nebenstraßen, wo staubige Holunderbäumchen ihre Zweige über Hecken voller Brombeeren und blühende Heckenkirschen reckten. Wenn sie brav Schalten geübt hatte und oft genug rückwärts in Viehweiden gestoßen war, wo sie von gemächlich kauenden Kühen beglotzt wurden, dann suchte Saxon ein einsames Plätzchen, stellte den Motor ab, schob seine Kappe in den Nacken, zog eine Schachtel Gold Flake hervor und bot ihr schweigend eine an. Er hielt ihr, das Flämmchen in der hohlen Hand schützend, ein Streichholz hin, und dann lehnten sie sich zurück und bliesen wortlos den Rauch vor sich hin, das Gesicht der Sonne und dem wolkenlos blauen Himmel zugewandt. Beide sprachen kein Wort. Das war auch etwas, was ihr so an Saxon gefiel: sein Schweigen. Plaudern war nicht seine Art, obgleich sie wusste, dass seinen scharfen Landburschenaugen nichts entging: kein Vogel, kein Tierchen, kein vorbeifahrendes Auto.
Nach einem Weilchen, wenn die Zigarette zu einem Drittel geraucht war, kroch sein Arm um ihre Taille, und er zog sie sanft an sich. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und konnte an ihrer Wange seine warmen Uniformknöpfe fühlen. Gelegentlich schob sich sein Kopf zwischen sie und die Sonne, und er küsste sie zärtlich. Sie redeten ein bisschen, aber nie über ihre Gefühle. Die Küsse und der Arm um ihre Taille wurden mit keinem Wort erwähnt, fast als ob es ein Spiel wäre.
Gegen Ende August waren sie so glücklich und zufrieden, dass sie unvorsichtig wurden. Wenn es ein hübscher Feldweg war, dann nahmen sie ihn, auch wenn er gefährlich nahe bei The Eagles lag. Dort hielten sie an und rauchten und küssten sich. Nicht selten lag Tinas Kopf weniger als eine halbe Meile von Mr Withers Arbeitszimmer entfernt an Saxons Schulter.
»Weißt du was«, sagte Saxon eines Tages, als sie auf einem dieser gefährlichen Feldwege verweilten, den Wagen durch ein offenes Gatter zurückgesetzt, »ich hätte nie gedacht, dass ich je mit einer Frau befreundet sein könnte.«
»Nein?«, fragte Tina mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Nein. Ich meine – nicht so, wie wir Freunde sind –, ich meine … mit den andern war’s anders. Da musste ich immer jede Menge Schmus reden. ’tschulligung.«
Aha, es hat also andere gegeben, dachte Tina, die ganz vergaß, ihn wegen des Ausdrucks »Schmus« und der verkrüppelten Entschuldigung zu korrigieren.
Sie versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, allerdings vergebens.
»Echt, es war nichts«, fuhr er fort und schaute sie schmunzelnd an, »bloß ein paar Miezen aus Chesterbourne, nichts Ernstes.«
Sie sagte nichts. Hielt fast den Atem an.
In diesem Moment ertönte ein rüdes Schmatzgeräusch, als würde jemand Luftküsse machen, und eine Stimme aus dem Nirgendwo durchbrach die
Weitere Kostenlose Bücher