Der Sommernachtsball
friedliche Stille:
»Holla! Lecker lecker! Hab ich euch erwischt!«
Tina und Saxon fuhren erschrocken auseinander und schauten sich hektisch um, aber es war niemand zu sehen. Die Straße wurde auf beiden Seiten von dichten Hecken gesäumt, und auf der linken Seite begann das kleine Eichenwäldchen.
»Kuckuck, kuckuck! Ach was hatten sie für einen Spaß, bis einer rümpfte seine Nas und sagte: ›Zum Kuckuck mit deinem Kuckuck!‹«
Die Stimme kam von oben. Saxon sah hoch und sah etwas unnatürlich Großes und Dunkles in den Zweigen einer Eiche. Es reckte sich vor und winkte höflich. Der Einsiedler.
Der Einsiedler war keineswegs verbittert wegen der Niederlage, die er bei der Gartenparty hatte einstecken müssen, denn seine unverwüstliche Gesundheit und seine Eitelkeit bildeten einen derart dicken Panzer, dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, dass es eine Niederlage gewesen war. Wenn die Leute ihn nicht mochten, war das ihr Pech, und wenn jemand so weit ging, die Hand gegen ihn zu erheben, dann schlug er zurück, und meistens ging er als Sieger davon. Wenn er mal verlor, dann vergaß er, dass er verloren hatte. Drohungen ignorierte er, gut gemeinte Ermahnungen nahm er nicht ernst. Es gab daher nicht viel, das sich gegen den Einsiedler unternehmen ließ, außer ihn einer Klinik für Patienten mit chronischen Minderwertigkeitskomplexen als Maskottchen anzubieten. Er war nicht zäh, eher gummiartig, ein Springball, der sich einfach nicht unterkriegen ließ, ein unverwüstliches Relikt der viktorianischen Epoche, das sich in das graue Einerlei eines weniger harten Zeitalters hinübergerettet hatte. Die Londoner Slums der 1860er Jahre waren eine harte Schule gewesen, wer die heil an Geist und Körper überstanden hatte, den warf so schnell nichts um. Außerdem verfügte der Einsiedler über fabelhafte Drüsen, was ihm anderen gegenüber einen unfairen Vorteil verschaffte.
Er war Saxon, der Colonel Phillips dabei geholfen hatte, ihn vom Hof zu werfen, nicht böse, denn er hatte Saxon k.o. geschlagen. Er war zwar besoffen gewesen, aber dass er Saxon niedergeschlagen hatte, daran konnte er sich noch sehr genau erinnern. Er empfand nur gutmütige Verachtung für den Jungen, so wie jeder Mann von Welt sie für einen Tölpel vom Land empfinden sollte.
Nein, der Einsiedler war nicht nachtragend, aber er hatte einen Sinn für ausgleichende Gerechtigkeit. Und der wurde nun befriedigt, als er Saxon, dieses Vorbild von Anstand, der sich andauernd in die Angelegenheiten von Älteren und Besseren einmischte, der überall seine Nase reinstecken musste, der (und hier griff er in die Mottenkiste seiner Erinnerungen an Seven Dials im Jahr 1868 und holte ein paar mammutknochenalte Schmähworte heraus), dieser Grünschnabel und Teekesselkutscher, als er diesen feinen Knaben also beim Knutschen mit der Tochter seines Arbeitgebers ertappte. Der Einsiedler hatte Mr Wither ja zugerufen, dass etwas Derartiges vor sich ging – und er hatte recht, hoho! Welch ein Triumph: Kuckuck, Kuckuck!
Als er ihre schreckensbleichen Mienen sah, kam ihm eine gute Idee. Grinsend schaute er zwischen den Blättern des dicken Asts, auf dem er rittlings saß, auf sie herab und wartete darauf, dass sie etwas sagten.
»Am besten gar nicht beachten«, murmelte Saxon und ließ den Motor an. »Halb so schlimm, Miss – keine Sorge, Tina. Der alte B… (’tschulligung), der gehört erschossen. Wenn wir sofort wegfahren …«
Aber der Einsiedler schoss wie ein Eichhörnchen den Baum herunter und verstellte ihnen die Ausfahrt.
»Ick hab’s nich’ eilig«, sagte er milde, »ick hab Zeit. Bin nich beschäftigt.«
»Aus dem Weg!«, rief Saxon herrisch. Er war kreidebleich. Das Auto rollte an.
»Saxon! Nicht! Wenn du ihn anfährst, wird alles rauskommen. Bleib stehen … bleib stehen, bitte !«
Er bremste, als die Stoßstange schon die Beine des Einsiedlers berührte.
»Ts, ts, nich so stürmisch«, bemerkte der Einsiedler. »Wozu das denn? Ick sachs doch keinem. Wieso auch? Was jeht’s mich an, wenn ihr hier ’n büschen rumknutscht und rumgrabscht? Wir sind schließlich bloß eenmal jung. Du lässt mich in Frieden, dann lass ich dich in Frieden, kapische?«
Tina nickte mit einem schwachen, ängstlichen Lächeln und warf einen besorgten Blick auf Saxons wütendes Gesicht.
»Sollten wir jetzt nicht besser fahren?«, meinte sie gespielt locker. Ihr zitterten die Knie.
»Würd’ ich ja, wenn er mich ließe.« Saxon hob die Stimme: »Los, verschwinde.
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