Der Sommernachtsball
Eine Schande wär’ das. So ein süßes kleines Ding.
Viola versuchte gar nicht, sich richtig mit ihm zu unterhalten, und so senkte sich eine träumerische, unwirkliche, fast zärtliche Stimmung über die beiden. Man tauschte ein paar Bemerkungen übers Wetter und über die Anzahl der Sommergäste in Stanton aus, und Victor erwähnte beiläufig, er sei geschäftlich für einen Tag nach Bracing Bay heruntergekommen. Bracing Bay sei natürlich ein Dreckloch, dort könne man nicht anständig essen, deshalb sei er ins White Rock gegangen, allein, denn seine Freunde in Stanton seien alle ausgeflogen.
»Zum Glück, wie sich herausstellt.« Er füllte ihr Glas erneut. »Sie mögen dieses Zeug wirklich gern, was?«
»Ja, es schmeckt so gut.« Sie nahm gelassen einen Schluck.
»Haben Sie nicht Angst, Sie könnten einen Schwips kriegen?«
»Och, nein. Mein Kopf kann was vertragen.«
Victor lachte schallend. Von den anderen Tischen gab es amüsierte Blicke.
»Ach ja? Was trinken Sie denn sonst so?«
»Och, bei den Withers meistens nur Limonade oder Gerstenwasser, aber ich habe schon jede Menge Cocktails probiert und Gin mit Zitrone und Sherry und all so was. Und ich hab’ nie einen Schwips gekriegt. Ich mag Alkohol, aber auf The Eagles gibt’s nur selten was«, schloss Mrs Wither voller Bedauern.
Kann ich mir denken, dachte er, sagte aber nichts, sondern prostete ihr lachend zu. Er erwähnte nicht einmal, dass er noch heute Abend wieder nach London zurückfahren würde. Seine Mutter und Hetty wohnten derzeit in London und unternahmen mit den weiblichen Mitgliedern der Barlow-Sippe einen Einkaufsbummel nach dem anderen. Die Hochzeit war für Anfang Frühling geplant, wenn die Bäume blühten. Phyl spukten künstlerische Ideen im Kopf herum; ihre Brautjungfern wollte sie mit Apfelblüten schmücken.
Man leerte den Champagner in geselligem Schweigen und lächelte einander mit funkelnden Augen und roten Wangen zu. Tina und ihr liederliches Wochenende hatte Viola vollkommen vergessen, ihre Schwägerin existierte gar nicht mehr; auch die anderen Withers waren vergessen, ja, selbst das wunderbare Mädchen, mit dem Victor verlobt war. Und Teddy. Der Gute. Es gab nur noch Victor, seine Augen, die über den Rauch seiner Zigarette zärtlich auf sie gerichtet waren, nur noch dieses herrliche, schwebende, euphorische Gefühl.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Kommen Sie, holen Sie Ihren Mantel, dann machen wir eine kleine Ausfahrt – das heißt, falls Sie noch wollen?«
Natürlich wollte sie! Sie schwebte geradezu nach oben und dann wieder nach unten, wie eine Schneekönigin, in ihrem langen weißen Staubmantel und den weißblonden kurzen Locken.
Er führte sie zu seinem Wagen, gab dem Hotelburschen, der die Tür aufhielt, ein Trinkgeld und lud sie mit einer Handbewegung zum Einsteigen ein. Nicht wenige Hotelgäste waren herausgekommen, um den milden Herbstabend zu genießen und das üppige Dinner zu verdauen. Lebhaft schwatzend standen sie im Mondschein in Grüppchen beieinander, die Männer mit dicken Zigarren in der Hand. Luxuriöse Automobile kamen angeglitten, feine Damen stiegen aus, und die Wagen glitten wieder davon. Eine stimulierende Atmosphäre von Geld und Muße lag in der Luft, die Hetty als »Duft des Fortschritts« bezeichnet hätte.
Victor entschied sich für die Klippenstraße Richtung Süden, wo die kleinen Häuser rar wurden und bald das offene Land begann.
Auf der einen Seite breitete sich tief unter ihnen das silbrig-schwarze Meer aus, dessen Rauschen melancholisch in der Nacht verklang, auf der anderen Seite lagen öde, abgeerntete Felder im fahlen Mondschein. Ein Kaninchen kam aus einem Gebüsch auf die Straße geschossen und flitzte etwa hundert Meter lang vor dem Auto her. Victor hupte geduldig. Schließlich sah Viola, wie es mit weiß aufblitzender Blume kopfüber in einer Straßenhecke verschwand. Es waren kaum Autos unterwegs, denn die Stantoner saßen lieber in ihren Häusern beim Bridge, als Mondscheinfahrten zu unternehmen, und bald hatten sie die Straße ganz für sich.
An einer besonders schönen, einsamen Stelle hielt Victor schließlich an. Weit unter ihnen rollten schaumgekrönte Wellen über den weiten Strand; ihr Rauschen drang bis zu ihnen hinauf. Er steckte sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück und schaute auf die bleiche Straße hinab, die der Mond aufs schwarze Wasser zeichnete. Am liebsten hätte er sie jetzt einfach geküsst, ohne irgendwelche Erklärungen. Aber die
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