Der Sommernachtsball
sich so leer fühlte, wenn sie nachts stumm und müde mit Vic von einer Party heimfuhr. Was ihr fehlte, war ein wenig Schmus. Wenn nicht jetzt, wann dann? Manchmal gab es auch ein bisschen davon, aber es war eher unbefriedigender Schmus. Vic tat sein Bestes, aber …
Phyllis, die sich verächtlich über so liederliche Elemente wie Schriftsteller, Maler und Bühnenbildner, die am Rande der Gesellschaft lebten, äußerte, wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass sie sich insgeheim nach der Gesellschaft und dem Schmus von solchen Männern sehnte. Sie äußerte sich höchst abfällig über einen Mann aus ihrem Zirkel, der Schauspieler geworden und nun ein großer Star im englischen Kino war und einen mehr als lockeren Lebenswandel führte; wann immer er ihr über den Weg lief, schnitt sie ihn. Sie wusste ja nicht, dass sie, hätte sie nicht die Vernunft besessen, ihn zu schneiden, eins seiner willigsten Opfer geworden wäre. Was ihr an Victor fehlte, war ein wenig Lasterhaftigkeit.
Dennoch, die Liebenden schienen gut miteinander auszukommen. Mrs Springs Zweifel an der Verbindung vergingen (oder schliefen zumindest ein). Nicht nur, dass Vic und Phyl sich prächtig zu verstehen schienen, auch ihr, Mrs Spring, ging es gesundheitlich viel besser. Und das war gut so, denn nun konnte sie die kleine Saison von ganzem Herzen genießen. Sie war daher gut gelaunt und zuversichtlich und interessierte sich für alles rund um die Hochzeit, vor allem für Phyllis’ Garderobe und für jedes Stück ihrer Aussteuer. Nicht selten begleitete sie sie auf Möbel-, Mode- und Textilmessen. Manchmal kam dann auch Anthea mit, Phyllis’ ältere Schwester, eine unermüdliche, intelligente, zähe Person von vierunddreißig, die von ihrem Mann getrennt lebte und einen blassen, immer unzufriedenen kleinen Sohn besaß. Sie hatte Sorgen, weil sie chronisch verschuldet war, und das machte sie scharf und gereizt. Mrs Spring mochte Anthea nicht. Wenn sie Anthea so anschaute (die äußerlich genau dem entsprach, was sich Mrs Spring unter einer Schwiegertochter vorstellte), fürchtete sie, dass Phyllis später einmal genauso werden könnte. Deshalb schaute sie Anthea so wenig wie möglich an.
Hetty langweilte sich in London zu Tode. Immerhin konnte sie sich ab und zu davonschleichen und in einen Buchladen, ein Museum oder eine Gemäldegalerie gehen, aber das klappte nicht sehr oft, da Mrs Spring Wert darauf legte, sie zur Hand zu haben, gerade in dieser aufregenden Zeit. Hetty musste also mitkommen, wenn Mrs Spring mit Phyllis und Anthea die teuren Geschäfte abklapperte. Gelangweilt und stumm trottete sie hinterher, die Tasche ihres Kostüms von einem Buch ausgebeult, und wünschte, es wäre schon April und sie einundzwanzig.
Mrs Spring schlug vor, nach der Hochzeit Grassmere zu verkaufen. Dann könne sie mit Hetty in eine schicke kleine Wohnung in London ziehen und näher bei Victor und Phyllis sein und überhaupt ein geselligeres Leben führen, als es in Essex möglich war.
Hetty hatte andere Pläne. Sie waren unausgereift, lagen ihr aber sehr am Herzen. Sobald sie volljährig war, wollte sie Grassmere – oder die Londoner Wohnung, das spielte keine Rolle – für immer verlassen, sich in Bloomsbury eine Mansarde nehmen und hinter Büchern verschanzen. Sie wollte lernen, studieren, um des Studierens willen. Ich will weder andere unterrichten noch selbst Bücher oder Gedichte verfassen oder beurteilen. Ich will einfach nur lernen.
Wenn sie in irgendeinem Geschäft herumlungerte und Phyllis und Anthea dabei beobachtete, wie sie zuckersüß eine junge Verkäuferin herunterputzten, dann träumte sie von rußigen roten Schornsteinen vor dem blassblauen Sommerhimmel über London, dem Duft von Kaffee auf einem Gaskocher und dem fernen Dröhnen der geschäftigen Stadt unter sich. In ihrer Fantasie glitt ihr Auge dann über die Seite eines Buches, und sie war wunschlos glücklich.
Meine Bücher werde ich ja wohl mitnehmen dürfen.
Wenn der erste Schock erst mal überstanden ist, fällt ihnen wahrscheinlich ein Stein vom Herzen.
Victor war richtig brav. Er ließ Phyllis freie Hand bei der Ausstattung der neuen Wohnung, und er fand es eine prima Idee, die Flitterwochen in Monte Carlo zu verbringen. Nach seinem anstrengenden Arbeitstag ging er gehorsam jeden Abend mit ihr tanzen (und machte keine schlechte Figur dabei). An Viola dachte er kaum noch und wenn, dann in dieser Art: Die Kleine wird mir immer was bedeuten. Beinahe hätt’s mich schlimmer
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