Der Sommernachtsball
herausstellte, bereits im Wagen lagen.
In weniger als einer Stunde waren sie wieder daheim.
Mr und Mrs Wither und Madge waren schon am Vorabend heimgekommen, gestärkt und erfrischt von der milden Luft des Lake Districts. Für Tina und Viola, die sich noch über ihre Rückkehr freuten und darüber, wieder von all ihren vertrauten Sachen umgeben zu sein, war das Mittagessen eine fröhliche Angelegenheit. Anfangs zumindest. Selbst als Viola in allen Einzelheiten von Adrian Laceys traurigem Ableben berichtete, konnte das die Stimmung am Tisch nur kurz trüben. Mrs Wither glaubte sich zu erinnern, Elenor einmal auf einem Schulfest gesehen zu haben. Diese Große, Dunkelhaarige mit der Hornbrille? Tina bejahte. Die Ärmste, meinte Mrs Wither, haben sie Kinder? Tina verneinte. Mrs Wither war gerade dabei zu sagen, dass das vielleicht ein Segen sei, als sie von Mr Wither unterbrochen wurde, der barsch fragte, ob sie auch daran gedacht habe, Kohlen zu bestellen. Über die Laceys wurde danach nicht mehr geredet.
Viola starrte durch die frisch geputzten Verandafenster (Annie hatte sie sich angesichts der Rückkehr der Familie am Vortag vorgenommen) in den öden Garten hinaus. Kohlen … gelbe Blätter auf nassem Rasen … die Dahlien braun und verwelkt. Der Winter war im Anmarsch. Das warme Gefühl, das sie bei ihrer Rückkehr empfunden hatte, welkte ebenfalls dahin, während die Mahlzeit in dem düsteren, schwer möblierten Raum inmitten der altbekannten, langweiligen Gesichter ihren Fortgang nahm. Jeder hatte eine kleine Feriengeschichte zu erzählen und erzählte sie auch, aber solche Geschichten sind immer todlangweilig – außer natürlich, man erzählt sie selbst. Viola sagte ein paar Mal »Ach was! Also wirklich!«, dann hörte sie nicht mehr zu.
Nach dem Essen packte sie aus und räumte auf. Sie spielte ein wenig mit Polo und erfuhr von Fawcuss, dass »die auf Grassmere« noch immer nicht zurück seien: »Der Obergärtner (Mr Rawlings) hat gesagt, die wollen auch über Weihnachten in London bleiben.« Dann war Teezeit. Und Viola hatte das Gefühl, schon seit Wochen wieder auf The Eagles zu leben. Beim Abendessen kam es ihr dann so vor, als wäre sie nie weg gewesen. Aus den langen, stillen Stunden wurden Tage, aus den Tagen eine Woche, dann zwei Wochen. Nichts geschah, außer mal einem Treffen mit Lady Dovewood, in Chesterbourne zum Tee, oder bei den Parshams, und gelegentlich ging sie sonntags mit Mr und Mrs Wither zur Messe, weil Mrs Wither meinte, dass Viola wirklich in die Kirche gehen solle. Viola machte das nicht allzu viel aus, denn sie mochte das kleine Kirchlein in Sible Pelden. Sie musste daran denken, wie sie manchmal an den Sonntagen mit ihrem Vater zu Fuß dorthin gewandert war und wie sie davon geträumt hatte, in dieser Kirche Victor Spring zu heiraten. Es machte sie einerseits traurig, andererseits aber auch froh, das alte Kirchlein wieder zu sehen. Sie kaufte sich ein paar Sachen für den Winter (Mr und Mrs Wither schienen zu glauben, sie bekäme die Kleider von den Raben, so wie Elia in der Bibel mit Essen versorgt worden war; jedenfalls fragten sie sie nie, wo sie das Geld dafür herhatte), und einmal fuhr sie nach London, um Shirley zu besuchen, die dick und hochschwanger war und übellaunig die Geburt ihres Kindes erwartete.
Es war eine lange, trübe, traurige Zeit. Der Herbst war gekommen. Nebel kroch übers braune, von Flüssen durchzogene Land, das immer stiller wurde, je näher der Winter heranrückte. Von den Springs gab es nichts Neues, außer dass sie eine schöne Zeit in London verlebten. Viola, die keine Neuigkeiten hatte und keine Hoffnung und niemanden, mit dem sie reden konnte, siechte regelrecht dahin.
Ihr Kummer war tiefer und echter als im Sommer, und sie schien das auf ihre wirre Art auch zu spüren, denn jetzt bemühte sie sich, herauszukommen und nicht darin zu verharren. Sie versuchte sich zu beschäftigen und auf andere Gedanken zu bringen.
Sie las noch einmal WAS IHR WOLLT und WIE ES EUCH GEFÄLLT und fühlte sich getröstet, als sie las, dass die Viola dort sich auch in einen reichen jungen Mann verliebt hatte, der ganz verrückt nach einer anderen war, den sie aber, nach allerlei Verdruss, am Ende doch noch bekam. In WIE ES EUCH GEFÄLLT ging es um ein paar Leutchen, die in einem Wald hausten, und dabei musste sie an das kleine Wäldchen im Tal denken. Die Stücke waren so schwer zu verstehen, wenn sie nicht von der klaren Stimme ihres Vaters vorgelesen wurden, dass
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