Der Sommernachtsball
rüber zu Selfridges und besorge ein paar Netzvorhänge … und der Kessel ist undicht … und ich kann keinen Dosenöffner finden.«
Pause.
» SAXON !«
»Komme schon.«
»Beeil dich! Ich hab so viel zu tun!«
»Ja, ja. Ich muss mir nur rasch das hier anschauen, das ist echt interessant.«
Und damit verlassen wir sie für den Augenblick.
22. KAPITEL
Mr Wither war sehr, sehr zornig, entsetzt und enttäuscht von seiner Tochter, aber dass sie so einfach ging, das hatte er nicht gewollt.
Als er gesagt hatte: »Du verlässt sofort dieses Haus!«, war er nur ihrem schon lang gehegten Wunsch entgegengekommen, The Eagles den Rücken zu kehren. Und sie war schneller verschwunden, als er es gewollt hatte. Tatsächlich war er so außer sich gewesen, dass er nicht mehr gewusst hatte, was er sagte. Als Mrs Wither daher gegen acht Uhr mit einem Glas Port und einem Keks hereinkam (bei den Withers wurden Krisen mit Keksen bekämpft, nicht mit Sandwiches) und erzählte, dass Tina nun fort sei, regte er sich nur noch mehr auf als zuvor.
Es gab so viel zu durchdenken, zu planen. Alles musste jetzt so aussehen, als wäre es Absicht gewesen, so natürlich wie möglich. Aber das machte Tina mit ihrem Verschwinden bei Nacht und Nebel so gut wie unmöglich. Vor fünfzig Jahren wäre eine solche Flucht noch natürlich gewesen; jetzt jedoch erschien sie selbst Mr Wither melodramatisch.
»Aber du hast sie doch selbst weggeschickt«, sagte die arme Mrs Wither ganz verwirrt.
»Du hättest sie aufhalten sollen«, war alles, was er sagte, »morgen wird sich die ganze Gegend das Maul darüber zerreißen, dass ich sie hinausgeworfen habe.«
Er saß zusammengesunken da und starrte in den schwarzen, kalten Kamin. Den Port, den Mrs Wither ihm liebevoll aufzudrängen versuchte, lehnte er mit einer Handbewegung ab. Er sah so krank, so verzweifelt, sein lila angelaufenes Gesicht so starr aus, dass Mrs Wither in dem Bemühen, ihn mit einer heißen Wärmflasche und zwei Aspirin ins Bett zu bekommen, ganz ihre eigenen Sorgen vergaß. Schließlich gelang es ihr; sie blieb am Bettrand bei ihm sitzen, bis er eingeschlafen war.
Dann ging sie wieder hinunter ins Wohnzimmer, wo Madge noch mit geröteten, geschwollenen Lidern vor dem Kamin saß und mürrisch ins Feuer starrte. Sie redeten bis nach Mitternacht. Madge wollte keine Entschuldigung für Tina hören, die sie schon immer gehasst hatte. Tina habe sich benommen wie eine ordinäre Dirne, sie habe die Familie entehrt, ihren Stand verraten. Madge frage sich, was Colonel Phillips wohl dazu sagen würde und – und Hugh in Indien, wenn seine Mutter ihm davon schrieb. Alle würden sagen, wenn die Wither-Mädchen so was machen, dann stimmt doch mit der ganzen Familie was nicht. Das sei schon das zweite Mal in weniger als drei Jahren, dass der Familie so etwas zustieß: erst Teddys Heirat mit dieser ordinären kleinen Schlampe und jetzt auch noch Tina. In anderen Familien passierte so was doch auch nicht, oder? Warum ausgerechnet bei den Withers?
Mrs Wither wusste keine Antwort darauf.
Viola hatte sich längst einsam und unglücklich ins Bett verkrochen. Sie hatte die einzige Freundin verloren, die sie auf The Eagles gehabt hatte. Man verdächtigte sie der Konspiration mit den Liebenden. Victor liebte sie nicht und würde eine andere heiraten. Ach, Papa, lieber, lieber Papa, ich wünschte, du wärst nicht tot. Es dauerte nicht lange, und sie weinte ihr Kissen nass, während ein plötzlich aufkommender Wind ums düstere Haus fegte. Nach einer Weile begann sie zu beten, etwas, das sie fast nie tat, nur wenn sie etwas wollte. Mitten in einem besonders flehentlichen Gebet kam ihr jedoch der Gedanke, dass Gott es reichlich satthaben musste, nur dann angesprochen zu werden, wenn jemand was von ihm wollte. Also begann sie noch mal von vorn. Sie entschuldigte sich bei Gott dafür, dass sie immer nur dann betete, wenn sie etwas wollte, und bat ihn nach einigem Überlegen um seinen Segen für die ganze Familie. Das war die beste Methode, die ihr einfiel, um sicherzustellen, dass er sich der Probleme aller annahm, und Probleme hatten ja alle wirklich genug. Ein wenig getröstet schlief sie ein.
Nun hielt der Winter wirklich Einzug, nicht nur in Sible Pelden, sondern auch bei den Withers. Eine Bedrücktheit und Lähmung erfasste die Bewohner, so wie auch die Natur vor Kälte erstarrte. Die Tage wurden immer kürzer, grauer und stiller, ohne dass sich die Sonne blicken ließ, oder der Wind fegte Eisregen gegen
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