Der Sommernachtsball
die Scheiben. Wochenlang jaulte er ums Haus wie ein geprügelter Hund. Von jedem Fenster aus konnte man sehen, wie sich die kahlen schwarzen Bäume gegen den grauen, tief hängenden Himmel stemmten. Die hohen, schlanken Buchen wogten anmutig im Wind, die stämmigeren Eichen dagegen wedelten hektisch mit den oberen Zweigen. Der schneidende Wind raste übers Land, plättete das verängstigte, schüttere Gras und fuhr den Menschen bis in die Knochen. Draußen folgte ein solcher Tag dem andern, und drinnen flackerten armselige kleine Kaminfeuer. Anstelle von Blumen steckte Mrs Wither nun von ihr mumifizierte Zweige und Pampagräser in die Vasen. In allen Räumen herrschte Zugluft, schneidende kleine Windstöße drangen wie Messerstiche durch Türen und Ritzen. Viola bekam eine Stirnhöhlenentzündung, und die fünf älteren Hausbewohner litten unter Hexenschuss, Neuralgien und Nierenentzündungen.
Am Tag nach Tinas Fortgang setzten sich Mr und Mrs Wither zusammen und beschlossen, dass der Verwandtschaft wohl oder übel die Wahrheit gesagt werden müsse, dass man Freunden und Bekannten aber erzählen wolle, die Hochzeit habe mit elterlicher Zustimmung stattgefunden. Natürlich sei es eine große Überraschung gewesen, um nicht zu sagen ein kleiner Schock. Aber die Mädchen sind ja heutzutage so unkonventionell (eigensinnig, sollte ich sagen, meinte Mrs Wither mit einem säuerlichen Lächeln), man habe das Gefühl gehabt, wenn man seine Einwilligung verweigere, würden die jungen Leute auch ohne sie heiraten!! Sie seien erst mal nach London gezogen und wohnten bei Freunden von Tina. Ihre weiteren Pläne stünden noch offen.
Genau dies erzählte Mrs Wither dann auch Lady Dovewood, als sie ihr in der Städtischen Leihbücherei zufällig über den Weg lief (Mr Wither hielt sich im Hintergrund, als sei die väterliche Scham zu viel für ihn). Lady Dovewood war eigentlich nur gekommen, um selbst zu sehen, ob es stimmte, dass die Arbeitslosen diesen Ort als eine Art Club benutzten. Es stimmte. Lady Dovewood beschloss, dass etwas unternommen werden müsse. Was Tinas Kapriolen betraf, so sagte die Lady das, was man in solchen Fällen eben sagt. Als sie nach Hause kam, meinte sie zu ihrem Gatten: »Aubrey, du weißt doch, die jüngere Wither, diese dürre, künstlerische, also die ist doch tatsächlich mit dem Chauffeur durchgebrannt. Hab ich’s doch gewusst! Genau wie das Mädel von Kitty, der Armen. Ich hab’s gewusst! Sag nicht, dass ich’s nicht gewusst hätte, denn ich hab’s dir ja gesagt.«
Mrs Parsham und Mrs Phillips sagten ebenfalls das Passende. Sie konnten Mrs Wither nur beipflichten, wenn diese meinte, Saxon sei so ein netter, anstä… so ein netter Junge, und er liebe Tina. Sie halfen Mrs Wither, die Situation mit so viel Würde hinter sich zu bringen, wie es nur ging, denn die arme Frau tat ihnen leid. Umso mehr, da die Withers doch ein so langweiliges, karges Leben führten (und hätten sie das nicht schon seit Jahren gesagt?), noch dazu völlig unnötig, da sie ja genug Geld hätten. Wie die Mädchen das aushielten, sei ein Rätsel, vor allem heutzutage, wo doch alle jungen Leute irgendeine »Arbeit« hätten. Die armen, dummen Withers! Das hatten sie sich selbst zuzuschreiben, warum zwangen sie ihren Kindern auch so ein Leben auf. Kein Wunder, dass der Sohn eine Verkäuferin und die Tochter nun einen Chauffeur geheiratet habe. Blieb bloß noch das Trampel, die Älteste. Was die jetzt wohl tun würde? Ganz Sible Pelden wartete mit Spannung, wenn auch nicht ohne Mitgefühl.
Aber Madge, das Trampel, tat gar nichts. Außer lange Spaziergänge machen, im eisigen Wind mit Polo, aus dem nun ein prächtiger junger Hund geworden war, der immer fröhlich ein paar Meter voraussprang. Hugh Phillips’ Regiment war nun doch nach Waziristan verlegt worden, und seinen nächsten Brief würde er dann im aktiven Dienst schreiben. Seine Frau und der kleine Ned waren natürlich im Landesinnern geblieben, wo es sicherer war. »Polo, hierher!«, rief Madge und kraulte ihm die Ohren; ihre Augen tränten (dieser Wind!), und sie rieb sie wie ein Junge mit ihren kräftigen Fäusten.
Sible Peldens Proletariat konnte Mrs Wither, wenn sie ihm beim Metzger oder Bäcker begegnete, jedoch keinen Sand in die Augen streuen, dafür sorgte schon der Einsiedler. Er erzählte jedem im Green Lion – den jungen Taugenichtsen, aus denen mittlerweile große Taugenichtse geworden waren, dem realistischen Barmann, den Wirtsleuten (Mr und Mrs
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