Der Sommernachtsball
Dach formten, durch das man stellenweise den märchenhaft blauen Himmel sehen konnte. Sie befand sich jetzt auf der anderen Talseite: Die roten und weißen Türmchen von Victor Springs Anwesen leuchteten zwischen den schnell wachsenden, hohen Koniferen hervor, die er hatte anpflanzen lassen, um sein Anwesen abzuschirmen. Wenig später erreichte sie das strahlend weiße Eingangstor.
Ganz langsam ging sie daran vorbei, spähte durchs Gitter und fragte sich, was die Leute, die dort wohnten, wohl taten. ER war natürlich in London, aber von drinnen drangen Gelächter und vereinzelte Rufe nach draußen und das gedämpfte Knallen eines Tennisballs, der von gespannten Netzschlägern abprallt. Das Schnurren eines Rasenmähers und das freudige Gebell eines jungen Hundes. Welch glückliches Heim! Wo es keine Langeweile gab und jeder eine Beschäftigung hatte.
Es war eine einsame Straße, doch nach einer Weile gelangte sie an eine Wegscheide, wo sich die Landstraße mit der Hauptstraße kreuzte, die von Colchester nach Bracing Bay führte. Hier lag eine armselige kleine Ansiedlung aus Wellblechhütten, Kiosken und einer kleinen Tankstelle. Es gab nur ein, zwei Cottages, die derart mit Schildern zugekleistert waren ( TEE, FRISCHE EIER, ZIGARETTEN, TOILETTEN ), dass ihre malerischen Fassaden ganz dahinter verschwanden. Zwei etwas höhere Cottages, ohne Schilder, standen zurückgesetzt von der Straße unter den Ausläufern des Waldes. Interessiert schlenderte sie den Weg entlang, der zu ihnen hinführte.
Es handelte sich um ein Doppelhaus, zwei graue kleine Gebäude mit spitzen Dächern, über deren Türen auf einem Banner »St. Edmunds Villen 1893« stand. Die eine Hälfte war unbewohnt und verfiel, die Fenster waren zerbrochen, die Tür, vor der frisches grünes Unkraut wucherte, verbarrikadiert. Die andere Hälfte sah besser aus. Die Haustüre stand offen, und man konnte direkt ins Wohnzimmer schauen, eine Diele gab es nicht. Vor dem Haus wuchs grüner Rasen, durchsetzt mit zarten blaulila Glockenblumen.
Viola trat ein wenig näher, um die Blumen zu bewundern und um einen Blick ins Wohnzimmer zu erhaschen. Es war ein ärmlicher Raum, auch wenn offenbar jemand versuchte, ihm ein wenig Eleganz zu verleihen: Eine billige neue beigefarbene Tapete bedeckte die Wände, an denen ein, zwei ausgebleichte Aquarelle und ein paar Fotos hingen, ganz so, als wüssten die Bewohner, dass vollgehängte Wände heutzutage unmodern waren. In einer Ecke stand ein brandneuer Radioapparat aus billigem, lackiertem Sperrholz, die schäbigen Rosshaarsessel waren mit leuchtend blauen Deckchen aufgeputzt. Zwei schlammbraune Teppiche von Marks and Spencer deckten die schlimmsten Löcher im Teppichboden zu.
Die Schäbigkeit und Ärmlichkeit des Raums war selbst nach einem flüchtigen Blick nicht zu übersehen. Das einzig Hübsche war ein Strauß Weißwurzeln, auch Salomonssiegel genannt, die in einer billigen Vase auf dem Sofatisch standen. Doch selbst sie ließen ihre langen Blätter und dicken weißen Glöckchen hängen, als ob sie am Verdursten wären.
Während Viola noch ins Haus starrte, ging drinnen plötzlich die Tür auf, und jemand betrat das Wohnzimmer, erblickte sie und knallte die Haustüre zu. Betreten machte sich Viola davon.
Die Frau, die die Tür zugeknallt hatte, ging in die Waschküche zurück, aus der übel riechender Dampf hervorquoll. Wenig später drangen eigenartige Laute hervor, die, als sie deutlicher wurden, als Worte erkennbar waren. Beim näheren Hinhören hätte man erkannt, dass es ein unzusammenhängendes Gejammer war, als würde jemand vor sich hinschimpfen, während er hart arbeitete.
Das war Mrs Caker, und sie hatte eine Menge zu schimpfen.
»… Dreckszeug, wird immer schlimmer, wenn ich nich Angst hätt’, ich könnt’ die Arbeit verlieren, ich würde denen ihre Schmutzwäsche um die Ohren klatschen … Geizige olle Ziege, schickt mir ihr Zeugs zum Schrubben, anstatt’s zur Reinigung zu bringen, und auch noch die Decken von ihren Dreckskötern … ’ne Schande iss das, ’ne echte Schande. Ja, wenn’s nich ums Geld ging, ich wüsst schon, was ich tun würd’, aber was, wenn er mich nu’ sitzen lässt? Wo komm ich dann hin? Gerissener, fieser Kerl, das iss er. Ich wünscht’, ich wüsst’, was er kriegt … ah, wenn ich das bloß wüsst’! Die Dienstmädchen oben wüssten’s vielleicht, ich könnt’ sie ja mal fragen, aber die sind so hochnäsig. Vielleicht sagt er’s mir ja, seiner eigenen Mutter!
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