Der Sommernachtsball
geschah, bis man alt und grau war. Und vielleicht passierte ja mal doch etwas.
Wie sie gemeinsam feststellten, war das das Schlimmste auf The Eagles: dass man ständig darauf wartete, dass irgendwas geschah . Nicht unbedingt etwas Schönes, einfach irgendetwas. Dieser Wunsch und das irrationale Gefühl, dass er sich erfüllen würde, verfolgte sie wie ein Parfüm, wie eine Melodie. Es machte sie rastlos, ließ sie ständig auf die Uhr schauen. Wie lange noch bis zur nächsten Mahlzeit? Und wenn sie da war, wie lange bis zur nächsten? Zur Schlafenszeit? Zum Aufstehen? Zum Runtergehen und Frühstücken? Zum Zeitungslesen? … Die Tage und Nächte verschwammen zu einem Brei, wurden zu einem einzigen, dumpfen, endlosen Traum. Wochen vergingen. Es wurde Mai.
Einmal nahm Viola doch den Bus nach Chesterbourne und verbrachte einen schönen Tag mit Catty und den Tanten. Dass er so schön war, beruhte hauptsächlich darauf, dass Viola ihren Tanten das Blaue vom Himmel herunterschwindelte, was ihr Leben auf The Eagles betraf. Wie nett die Withers zu ihr waren, wie schön das Haus war, wie luxuriös, wie angenehm. Aber das war Viola nicht bewusst. Alles, was sie merkte, war, wie sehr sie sich freute, mal wieder die alten geliebten Orte aufzusuchen, den vertrauten Leinenduft des Ladens einzuatmen, die zwei neuen Lehrmädchen mit den großen, verschreckten Augen in ihren schäbigen Schürzen zu bemitleiden und Miss Cattymans liebevolle Ermahnungen in sich aufzusaugen, zu sehen, wie ihre Augen feucht wurden, wann immer sie von »deinem lieben, lieben Vater« sprach.
Dieses langsame Aufwallen von Tränen, wann immer Miss Cattyman von Howard Thompson sprach, war eine von Violas frühsten Erinnerungen. Als Kind hatte sie fasziniert darauf gewartet, dass dies geschah, wenn Miss Cattyman vor ihr in die Hocke ging und ihre abgearbeiteten Hände mit den eingegrabenen Furchen um Violas mit einer Samtschärpe umwundene Taille legte. Miss Cattyman und die Parade junger kuhäugiger Lehrmädchen, die manchmal plötzlich frech wurden, waren das Fundament, auf dem Burgess and Thompson ruhte: unmöglich, sich den Laden ohne sie vorzustellen.
Die Tanten waren Howard Thompsons Schwestern, zwei gutmütige, rundliche, schlichte Gemüter, deren Hauptsorge sich darauf beschränkte, dass Viola brav war und »ihre Pflicht tat«. Eine der beiden war die Krankenschwester am Ort, die andere führte ihr den Haushalt. Beide fanden ihr geschäftiges kleines Leben mit seinen kleinen Freuden und Sorgen mehr als lebenswert, und sie waren einander aufrichtig zugetan.
Aber Viola verdarb es sich ein wenig mit Catty und den Tanten, indem sie so tat, als ob auf The Eagles alles wunderbar wäre.
Bevor sie sie erblickten, in ihrem kessen neuen Hütchen, das sie sich gerade in Chesterbourne gekauft hatte, waren sie darauf vorbereitet gewesen, ihr mit Trost und gutem Rat zur Seite zu stehen, ihr notfalls ein Dach über dem Kopf anzubieten. Als klar wurde, dass sie nichts dergleichen benötigte – im Gegenteil! –, verloren die Tanten und Catty ein wenig das Interesse an Viola. Glück und Zufriedenheit erregt leider nie so viel Interesse wie Unglück und Sorgen.
Es geht ihr gut, Gott sei Dank, dachten die drei alten Damen ein wenig erleichtert. Jetzt brauchten sie sie doch nicht aufzunehmen, sie hatten ja so wenig Platz. Gleichzeitig waren sie ein wenig enttäuscht, denn nun konnten sie nicht sagen: »… und da haben wir sie zu uns genommen, das arme Ding; wo hätte sie auch hinsollen?« Was Viola betraf, so senkte sich auf der Heimfahrt im Bus wieder die Niedergeschlagenheit wie eine noch nicht ganz vertraute, muffelige Decke über sie. Jetzt würde es schwierig werden, die Tanten oder Catty zu bitten, sie bei sich aufzunehmen, selbst wenn sie ihnen fünfzehn Shilling aus ihrem Gehalt bei Burgess and Thompson dafür hätte anbieten können. Wieso hatte sie so getan, als ob sie bei den Withers glücklich war? Sie war zutiefst unglücklich dort und langweilte sich zu Tode, und sie hatte das Gefühl, dass die Zeit dahinflog und sie bald alt und grau sein würde.
Was bin ich doch für ein Esel, schalt sich Viola (die selten zum wahren Grund für ihr Verhalten vordrang). Tatsächlich war es ihre Loyalität gegenüber dem ungeliebten verstorbenen Teddy, die sie dazu bewog, so zu tun, als wäre sie glücklich im Schoße seiner Familie.
Auch fand sie es, wie viele junge Menschen, schwierig, ja nahezu unmöglich, alten Menschen gegenüber zuzugeben, dass sie
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