Der Sommernachtsball
Ja, vielleicht sagt er’s mir ja mal. Is seine verdammte Pflicht!«
Sie richtete sich ächzend auf.
Grünes Licht aus dem Wald fiel durch die schmutzige kleine Scheibe der Waschküche und verlieh ihrem Gesicht einen fahlen Schimmer. Sie war einst eine schöne Frau gewesen. Ihre großen, leicht schräg stehenden blauen Augen waren immer noch wunderschön, auch ihr kleines Näschen war hübsch. Aber sie hatte mittlerweile kaum noch Zähne; Dreck hatte sich in ihre Gesichtsfalten eingegraben, ihre Miene war unzufrieden und mürrisch. Sie hatte dickes braunes Haar, das schlecht geschnitten war und mit einem einzelnen Perlmuttkamm zurückgehalten wurde; eine billige, schmutzige Bluse spannte sich über ihren Busen, und der Saum eines zwar teuren, aber fürchterlich schmutzigen Rocks schleifte durch die seifigen Pfützen, die sich auf dem Fußboden gesammelt hatten. Das war MEIN ROCK , ein altes Stück, das sie seit zwanzig Jahren trug und davor schon eifersüchtig gehütet hatte. Er besaß die abgerundeten Hüften und den bestickten Saum der Röcke vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
Ihre tiefblauen Augen, der üppige Busen und die Andeutung eines Schmunzelns hinter der Unzufriedenheit machten sie zu einer Frau, mit der jeder Mann immer noch gerne redete. Sie wirkte wie jemand, der gerne jammerte, aber nichts wirklich ernst nahm.
»Ihm ist’s egal«, fuhr sie fort und beugte sich wieder über den Waschzuber. »›Wieso stehste nich früher auf?‹«, sagte sie mit einer Stimme, als würde sie jemanden nachahmen. »Weil ich keene Lust hab, mein Junge, deshalb! Wozu sollt ich aufstehen? Erwartet mich doch bloß Schufterei, nichts als Schufterei und Armut und keen bisschen Vergnügen. Denkt der je dran, dass ich vielleicht mal auf ein schönes Bier ins Pub will? Nee, der nich! Oder mal ins Kino …«
Klatsch! Ein dampfender Kleiderhaufen landete auf den schmierigen Steinfliesen.
»… er schämt sich für mich, ja, er schämt sich für seine Mutter! Bin ja vielleicht ’n bisschen aus den Nähten gegangen, aber alt bin ich noch lang nich’! Wenn ich den Alten nich hätt’, dann hätt’ ich niemanden zum Reden. Ihm iss das doch egal! Was für einen Sohn ich hab! Schlecht und gerissen iss der! Und wer soll ihm seine sieben Hemden pro Woche waschen, wenn ich tot bin? Sieben Hemden pro Woche, waschen und bügeln! Und nichts als Elend und Armut.«
Während sie die letzten Tropfen aus einem billigen, ausgebleichten blauen Hemd wrang, ging die Waschküchentür auf, und die Gestalt eines Mannes zeichnete sich vor dem Grün des Waldes ab.
»Ist mein Hemd fertig, Mutter?«, fragte er.
»Ja«, antwortete die Frau, ohne sich umzublicken.
Es war der schöne junge Chauffeur.
5. KAPITEL
In den nächsten zwei Wochen geschah nichts.
Das Wetter, der Himmel und der Wald wurden mit dem fortschreitenden Frühling immer schöner. Ein Gefühl von Aufbruch und Frische lag in der Luft, das schließlich in der trägen Wärme desSommers, dunkelgrünem Laub und immer stiller werdenden Vögeln enden würde. Aber keine der Figuren in dieser Geschichte konnte mit schönem Wetter und schöner Landschaft zufrieden sein – sie sehnten sich nach anderen Dingen.
Mr Wither sagte kein Wort mehr zu Viola über ihr »kleines Gespräch«. Und weil er nichts mehr sagte, machte Viola sich Sorgen, er könne sie auf die Straße setzen. Tatsächlich wünschte sie es sich fast, denn dann könnte sie wieder zu Shirley ziehen oder zu den Tanten oder zu Catty und wieder im Laden arbeiten. Das würde ihr nichts ausmachen, solange sie nur ab und zu Shirley und die Meute besuchen konnte.
Aber Mr Wither hatte nicht die Absicht, seine Schwiegertochter auf die Straße zu setzen. Er hielt es für unnötig, ihr das zu sagen, denn er hatte ja nie mit einem Rauswurf gedroht. Dass sie sich diesbezüglich Sorgen machen könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Die Entscheidung war gefallen. Hier war sie, und hier blieb sie. Mrs Wither hatte ihm geholfen, zu dieser Entscheidung zu gelangen. Sie war ebenfalls der Meinung, dass Viola ein törichtes, extravagantes und hinterlistiges junges Ding war, dennoch gab es eine Reihe von Gründen, sie nicht auf die Straße zu setzen. Es würde Gerede bei den Verwandten geben, und so viel kostete sie ja auch wieder nicht, wenn man in Betracht zog, wie viel sie hatten (obwohl sie natürlich nicht reich waren, wie Mrs Wither hastig versicherte). Außerdem war sie schließlich die Frau ihres verstorbenen Sohnes. Und Tina hatte endlich
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