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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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sie und schritt federnd dahin, gelegentlich nach einem Steinchen tretend. Keiner von den Withers hatte je ein Wort über Saxon verloren, seit sie hier war. Als Mrs Wither sie vom Bahnhof abgeholt hatte, war sie überrascht gewesen, ihn zu sehen; sie hatte gar nicht gewusst, dass die Withers einen neuen Chauffeur hatten. Man hatte nicht, wie bei anderen Familien üblich, die kleinen Neuigkeiten des Alltags in einem regelmäßigen Briefverkehr ausgetauscht. Teddy hatte das Gefühl gehabt, dass seine Eltern seine Heirat mit einer kleinen Verkäuferin missbilligten, weshalb er sich seitdem noch seltener bei ihnen blicken ließ. Für seine Frau waren sie buchstäblich Fremde. Die paar Male, als sie auf The Eagles zum Tee eingeladen gewesen war, hatte ein ältlicher Chauffeur das Auto gefahren, passend zu den ältlichen Dienstmägden, die die Withers beschäftigten. Saxon dagegen war ihr neu.
    Nein, dachte sie, aus Spaß macht er das bestimmt nicht. Niemand arbeitet aus Spaß für die Withers.
    Das rief ihr wieder ihre eigene prekäre Situation in Erinnerung. Sie seufzte.
    Jetzt wünschte sie von ganzem Herzen, sie hätte den Mut gehabt, Shirleys Rat zu befolgen, und sich geweigert, zu den Withers zu ziehen. Menschenskind, Mädel, du bist denen doch gerade noch mal von der Schippe gesprungen! Du willst dich doch nicht wirklich ein zweites Mal an die Klopse binden, oder?, hatte Shirley gesagt. Du weißt doch, der alte Klops ist nur hinter deinem Geld her. Aber in diesem Fall hat er Pech gehabt; du hast nämlich keins.
    Aber ich hatte doch Geld, dachte Viola. Sie ging mit gesenktem Kopf dahin; ihr Haar funkelte in der Sonne wie gesponnenes Glas. Bloß, ich hab so fürchterlich viel ausgegeben. Fast hundert Pfund. Ich bin einfach schrecklich .
    Es war so gut wie unmöglich gewesen, sparsam zu leben, solange sie bei Shirley wohnte. Die Davis waren ein lebenslustiges, unternehmungslustiges Paar. Sie besaßen ein kleines Auto, gingen oft zum Tanzen und auf Partys und gaben in ihrem kleinen Haus selbst gerne Partys, bei denen der Alkohol in Strömen floss.
    Die Davis finanzierten dies, laut Shirley, »mit Luft und Liebe«. Es war, als habe man eine unsichtbare Fee, meinte Shirley: Man wünscht sich was, und schwups! Schon wird es Wirklichkeit.
    Viola konnte sich ja schlecht von den Partys ausschließen oder Shirley auf der Tasche liegen; außerdem genoss sie diese wilderen Verhältnisse im Londoner Großraum. Es lenkte sie von ihrer Trauer um ihren Vater ab (und natürlich um den armen Teddy). Sie übernahm ihren Anteil; brachte mal eine Flasche zu dieser Party mit, übernahm die Häppchen für jene, kaufte sich ein Kleid für eine weitere. Sie ging oft zum Friseur, denn natürlich musste ihre Frisur perfekt sitzen, wie bei allen Mitgliedern von Shirleys »Meute«, wie diese sie nannte. Die »Meute« bestand aus sechs oder sieben jungen Frauen, alle mit Mann und Beruf, elegant und erfahren und ein klein wenig gelangweilt von der anderen Ehehälfte. Man fragte sich mehr oder weniger heimlich, wie es wohl wäre, eine heiße Affäre mit Jim oder Roger, Anne oder Chrissie anzufangen.
    Tatsächlich wäre es mit Jim oder Roger, Anne oder Chrissie auch nicht viel anders gewesen als mit Tom, Archie, Irene oder Connie. Aber da sie andere Körper bewohnten, bestand zumindest die Aussicht auf Romantik. Die Meute hielt es für schick, nur mit Zynismus über die Liebe zu reden, während man beim Morgenkaffee zusammensaß. Männern – und Frauen, behaupteten die Männer beim Bier – ging es nur um das eine. Insgeheim jedoch sehnte sich die Meute nach Romantik. Romantik! Man wollte die Wirklichkeit vergessen (Beruf und Alltag) und sich in einer Traumwelt verlieren. Wenn es die Meute erwischte, dann erwischte es sie richtig.
    Aber Viola ließ sich nicht korrumpieren. Lag es daran, dass Vater ihr, als sie elf war, mit seiner schönen Stimme vorgetragen hatte:
    Der Mond scheint hell. In solcher
Nacht wie dieser,
    Da linde Luft die Bäume schmeichelnd
Küsste
    Und sie nicht rauschen ließ, in solcher
Nacht
    Erstieg wohl Troilus die Mauern Trojas
    Und seufzte seine Seele zu den Zelten
    Der Griechen hin, wo seine Cressida
    Die Nacht in Schlummer lag.
    Wohl nicht. Sie sah ihrem Vater zwar gerne zu, wenn er ihr etwas vorlas, und lauschte der bezaubernden Sprachmelodie; aber was die Worte bedeuteten, das interessierte sie nicht. Es war Shakespeare, an den war sie gewöhnt.
    Sie mochte nicht von Jim oder Roger, Tom oder Archie geküsst werden. Wenn sie

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