Der Sommernachtsball
ihr zuflüsterten, wie verrückt sie nach ihr waren, dann meinte sie, sie sollten es doch mal in Paris versuchen, und entwand sich. Die Meute mochte sie, man hielt sie für ein komisches kleines Ding, ein wenig under-sexed, aber ganz niedlich.
Die drei Monate mit der Meute hatten ihr wirklich gefallen. Jetzt kam es ihr fast unwahrscheinlich vor, dass sie es je so toll gehabt hatte.
Aber ihr Geld war trotzdem futsch.
Viola hatte sich nicht getraut, Mr Withers Befehl, zu ihnen zu ziehen, abzulehnen. Sie hatte das unbestimmte, aber starke Gefühl, dass sie es ihnen schuldete, bei ihnen zu wohnen, weil sie Teddy nicht so geliebt hatte wie er sie. Shirley hatte zwar versprochen, ihr eine Stelle zu suchen, aber sie bezweifelte, dass sie für diese Art von Stelle geeignet gewesen wäre. Sie war nicht so clever wie Shirley.
Am Ende hatte sie entschieden, dass es das Beste war zu gehen. Verantwortlich dafür waren ihre Angst vor Mr Wither und die Tatsache, dass sie kaum noch Geld hatte und Shirley nicht auf der Tasche liegen wollte. Auch hatten die Tanten und die alte Miss Cattyman ihr ins Gewissen geredet, sie solle ihre Pflicht tun und dankbar für ihr Glück sein.
Nun blickte sie auf und sah einen Pfad, der in das Wäldchen hineinführte. Spontan bog sie ab, die Hände noch immer tief in den Manteltaschen vergraben, den Kopf gesenkt. Sie nahm sich vor, heute Abend einen langen Brief an Shirley zu schreiben.
Die Abende waren fast das Schlimmste auf The Eagles, weil dann draußen, außerhalb des Hauses, alles so wunderschön war. Der Sonnenuntergang verblasste allmählich zu dunstiger Dämmerung, die Sterne und der junge Mond kamen heraus, und wenn man den Kopf hob und aus den hohen Wohnzimmerfenstern schaute, dann konnte man manchmal einen großen Vogel langsam und majestätisch über den rosigen Abendhimmel fliegen sehen. Ein Reiher vielleicht oder ein Schwan aus den Marschen im Süden.
»Was ist aus dem Rest vom Schweinebraten geworden?«, würde Mr Wither sagen und den Kopf jäh hinter seiner Zeitung hervorstrecken.
»Keine Sorge, Lieber; die Köchin hat ihn für Pasteten verwendet.«
Und Mr Wither würde wieder hinter seiner Zeitung verschwinden.
Viola würde mit einem zehn Jahre alten Roman von Berta Ruck im zugigen Wohnzimmer sitzen (eine Leihgabe von Tina und eine wirklich reizende Geschichte, die sie aber nur noch trauriger machte, weil der junge Mann darin so wundervoll war) und sich fragen, was Shirley und die Meute wohl gerade machten. Und um Viertel nach zehn würde es Zeit sein, zu Bett zu gehen, und morgen Abend wäre es genau dasselbe, für immer und ewig, außer es kam mal eine andere Mumie (irgendjemand über fünfzig) zu Besuch vorbei, und was nützte das schon?
Aber heute Abend wollte sie zur Abwechslung mal Shirley schreiben und ihr erzählen, wie schrecklich es hier war, wie schimmelig die Klopse waren – ausgenommen Tina, die war ganz passabel, bloß, dass sie fürchterlich versessen darauf ist zu heiraten … aber keine Chance, Süße, die ist mindestens vierzig. Und den Bus nach Chesterbourne zu nehmen, um mal Catty und die Tanten zu besuchen, traue ich mich auch nicht, denn du solltest mal sehen, was die Mumien für Gesichter machen, wenn ich den Laden auch nur erwähne!
Komisch, dachte sie, während sie tiefer in das Wäldchen vordrang, es hat mir nichts ausgemacht , verheiratet zu sein, aber es war alles so gewöhnlich , überhaupt nicht so, wie man es aus Büchern kennt. Selbst jetzt fühle ich mich nicht als Mrs Wither (sie schmunzelte), ich fühle mich nicht anders wie als Schulmädchen, bloß nicht mehr so glücklich. (Wie sollte ich auch, ich bin schließlich eine Waise und eine Witwe. Eine verwitwete Waise.)
In diesem Moment hörte sie auf, leise vor sich hin zu pfeifen. Ihr war bewusst geworden, wie still es hier war. Verwirrt schaute sie sich um.
Es war nach und nach immer dunkler geworden, die Sonne war hinter einem Überhang aus kräftigen rosig-braunen Blättern verschwunden. Junge Buchen und alte Eichen, an deren Stämmen dichte, dunkelgrüne Efeuranken wuchsen, verstärkten diesen Eindruck von Stille und Abgeschiedenheit, ein Gefühl, das ihr verriet, dass sie bis ins Herz des Wäldchens vorgedrungen war. Den Kopf zu den dicken Ästen gehoben dachte sie: »Wie schön es hier ist.« Es ging noch immer leicht abwärts, und hinter einem Wall aus Haselgebüsch und frischen grünen Farnen, deren Stängel sich einringelten, hörte sie das Plätschern von Wasser.
Auf der
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