Der Sommernachtsball
jemanden zur Gesellschaft.
»Tina hat Madge«, widersprach Mr Wither. »Ihre eigene Schwester.«
»Madge hat ihr Golf und ihr Tennis, Lieber«, widersprach Mrs Wither sanft. »Tina hat nicht wirklich viel von ihr. Und sie mag Viola sehr, das hat sie erst neulich zu mir gesagt.«
»Na gut, dann wird sie wohl bleiben müssen«, meinte Mr Wither ungnädig. Er sah sie ohnehin kaum, außer bei den Mahlzeiten. Und obwohl er ihr nie verzeihen würde, dass sie ihn, was das Geld anging, hereingelegt hatte, machte sie ihm weiter keine Probleme. Sie gehörte zum Weibsvolk. Das ließ sich in den Griff kriegen.
Mr Wither übersah, dass Viola bereits bei verschiedenen Gelegenheiten bewiesen hatte, dass sie sich nicht in den Griff kriegen ließ.
Was Viola betraf, so lebte sie sich mehr schlecht als recht bei den Withers ein. Die Withers nahmen nie Bezug auf Dinge, die unter der Oberfläche des eintönigen Alltags brodelten, da sie sich ausschließlich auf die Äußerlichkeiten dieses Alltags konzentrierten. Und wenn diese Dinge doch einmal an die Oberfläche kamen und sich nicht ignorieren lassen wollten, dann ergriffen die Withers die Flucht. Immerhin bemerkte Mrs Wither einmal gegenüber Madge, dass Viola sich inzwischen gut eingelebt habe.
»Hmpf«, war Madges Antwort.
Sie misstraute Viola ebenso wie ihr Vater. Viola war jung und hübsch, und das war Grund genug. Madge ging davon aus, dass Viola Teddy »eingefangen« hatte, was immer das bedeuten mochte. Jedenfalls hatte sie Teddy dazu gebracht, sie zu heiraten. Wie, das wollte Madge gar nicht wissen. Irgendwelche unanständigen Tricks wahrscheinlich.
Madge betrachtete jeden Ausdruck von Zuneigung zwischen Mann und Frau, der über einen kräftigen Händedruck hinausging, als unanständig. Ein Mann konnte ein Freund, ein guter Kamerad sein, ohne sentimentalen Kram. Ein anerkennendes Schulterklopfen, wenn ihm ein besonders guter Schlag gelungen war, das war in Ordnung. Oder dass er dir auf den Rücken klopft, wenn du ein gutes Spiel gemacht hast. All das war in Ordnung, das war ein anständiger Ausdruck für ein ehrliches Gefühl. Es gab ein, zwei junge Männer im Club, denen Madge gerne mal – unter eher dünnen Vorwänden – auf den Rücken klopfte. Auch ein besonders inniger Händedruck war in Ordnung, wenn man sich von einem Soldaten verabschiedete, der nach Indien versetzt worden war und nächste Woche mit seiner jungen Frau dorthin aufbrechen würde. Ein solcher Händedruck sollte ihm zeigen, dass es, auch wenn er sich wegen eines Rocks zum Narren gemacht hatte, noch vernünftige Frauen auf der Welt gab, die ihm ein guter Kamerad sein konnten, komme was wolle – und gute Kameradschaft war es, was ein Mann brauchte, keinen sentimentalen Kram, das würde er schon früh genug merken und es sattbekommen.
Aber Küssen war widerlich, außer unter einem Mistelzweig, mit viel Gekreisch und Gerempel auf einer fröhlichen Weihnachtsfeier. Alles, was darüber hinausging, war unanständig.
Madges Ideal war simpel: Anständigkeit. Mehr verlangte sie nicht. Leider gelang es erstaunlich wenigen Menschen, gemäß diesem Ideal zu leben. Überall begegneten einem Unanständigkeiten, vor allem im Frühling. Man brauchte nur hinzuschauen. Zum Übelwerden. Sogar in einem so kleinen Ort wie Sible Pelden.
Tiere dagegen waren anständig, vor allem Hunde. Viel anständiger als Menschen. Hunde ließen sich abrichten. Leider erlaubte Mr Wither Madge nicht, sich einen Hund anzuschaffen. Darüber hatten sie sich in den letzten zehn Jahren oft gestritten. Jetzt hatte es Madge aufgegeben, ihn darum zu bitten. Aber sie wünschte sich immer noch einen, wie sie eines Tages gegenüber Tina herausplatzte, »mehr als alles auf der Welt«.
Behutsam wie eine Seeanemone, wie jedes empfindliche Pflänzchen, das sich, um des Überlebens willen, an seine Umgebung anpassen oder sterben muss, gelang es Viola, sich in den ersten Wochen auf The Eagles ein paar schöne Momente zu verschaffen.
Tina war eine unerwartete Hilfe. Sie war zwar alt, aber unheimlich nett. Zusammen entdeckten sie, wie schön es war, sich über etwas lustig zu machen, das in Wahrheit vielleicht gar nicht so lustig war. Viola hatte ein bisschen Humor und Tina ebenfalls. Zusammen schaukelten sie sich hoch.
Das Leben auf The Eagles wirkte weniger eintönig und deprimierend, wenn zwei Menschen daran etwas Komisches finden konnten Man hatte so weniger das Gefühl, als würde die Zeit erbarmungslos dahinfließen, ohne dass je etwas
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