Der Sommernachtsball
schüttelte den jungen Arm ihrer besorgten Schwägerin ab und rannte, die Tür hinter sich zuknallend, aus dem Zimmer. Die übrigen drei schnappten nach Luft.
Die Tür zu Mr Withers Arbeitszimmer war geschlossen. Klobig und schwer zeichnete sie sich auf der anderen Seite der Diele ab, wo Abendschatten das hohe, schlanke Treppenhaus einhüllten. Leichtfüßig rannte sie hinauf, die Hände vors Gesicht geschlagen, hinein in ihr Zimmer, wo sie sich aufs Bett warf. Sie zitterte am ganzen Leib, weil sie so erleichtert war, aber auch wegen eines unbestimmten Schamgefühls.
Doktor Irene Hartmüller ließ keinen Zweifel daran, dass der Weg zu innerer Harmonie nur über die Konfrontation mit den tiefsten inneren Sehnsüchten führte (so erniedrigend sie auch sein mochten). Nur wer sich ehrlich mit seinen triebhaften Wünschen konfrontiere, so Doktor Hartmüller, und sich diese erfüllte (vorausgesetzt, das war ohne allzu großen Schaden an seinen Mitmenschen möglich), könne auf inneren Frieden hoffen.
Seit Wochen rang Tina nun schon mit der erniedrigenden Sehnsucht, neben Saxon im Auto zu sitzen und eine lange, baumbeschattete, einsame Straße entlangzufahren. Nun, da ihr Wunsch offenbar kurz vor der Erfüllung stand – ohne Mr Wither allzu großen Schaden zuzufügen –, fragte sie sich, warum sie sich deswegen so gequält hatte. Es war doch nichts Schlimmes … bloß ein paar Fahrstunden …
Und der Wunsch war nicht aus heiterem Himmel gekommen – jedenfalls nicht ohne Ermunterung seinerseits. Wieso hatte er sie auch so ansehen müssen, eines sonnigen Nachmittags, so frech und fröhlich, ganz ohne die hochmütige Chauffeursmaske, als wäre sie wieder die hübsche kleine Kunststudentin auf Wochenendbesuch aus London und er der verwilderte Junge im löchrigen roten Pulli?
Wenn er sie nicht so angesehen hätte – einmal –, als sie von einem kleinen Spaziergang im Wäldchen zurückkehrte, wäre dieser Traum gar nicht erst geboren worden.
Keine Frau mit Selbstachtung (dachte Tina bitter und schaute mit nassen Wimpern zur Decke), keine Frau, die anständig erzogen worden ist, entwickelt ohne jeden Grund romantische Gefühle für den Chauffeur … selbst wenn sie ihn seit zwölf Jahren kennt.
Das kommt davon, wenn man niemanden hat, den man lieben kann.
Ach, ich weiß genau, was mit mir los ist.
Ein Grund mehr, diese verflixten Fahrstunden so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich brauche nur seinen ordinären Essex-Dialekt hören und seine schmutzigen Fingernägel sehen … aber er hat so schöne Hände , sagte eine klare kleine Stimme in ihrem Kopf, wie gern würde ich Hand in Hand mit ihm spazieren gehen.
Erschreckt und mit glühenden Wangen sprang sie auf und ging zum Fenster, streckte den Kopf in den milden Abend hinaus. Was für ein jähes Gezwitscher, dort hinten im Wäldchen! Und noch einmal; dann herrschte Stille.
Sobald Tina weg war, stand Mrs Wither auf und ging zu Madge. Sie tätschelte ihrer Tochter tröstend die kräftige Schulter.
»Ach, Mama«, stieß Madge verzweifelt hervor. Trotz ihrer gut siebzig Kilo und ihrer Tennis- und Golfkünste sah sie auf einmal aus wie eine Fünfzehnjährige.
»Nicht doch, Liebes. Du darfst Vater nicht so aufregen.«
»Ja, ich weiß, Mama, aber wieso erlaubt er mir nicht, einen Hund zu haben? Er wird ihn bestimmt nicht stören, das verspreche ich. Ich kenne mich aus mit Hunden, wozu war ich denn in Roxbourne? Hunde sind einfach unschlagbar. Echte Klasse. Ich wünschte, du könntest die Welpen sehen, niedliche kleine Biester.«
Mrs Wither tätschelte sie noch einmal seufzend und schaute nachdenklich zu Boden.
Viola starrte Schwiegermutter und Schwägerin verlegen an, was Mrs Wither und Madge störte.
»Wenn du fertig bist, Viola, dann läute doch bitte«, sagte Mrs Wither scharf, dann ging auch sie.
Nach kurzem Schweigen sagte Viola mit ihrer sanften, tiefen Stimme: »Wirklich eine Schande, das mit deinem Hund, Madge.«
»Ach, halb so schlimm. Tut mir leid, dass ich mich zum Narren gemacht hab.« Auch Madge erhob sich jäh und drängte sich am eintretenden Dienstmädchen vorbei nach draußen.
Viola blieb als Einzige noch einen Moment am Tisch sitzen. Gedankenverloren saß sie da und rührte sich erst, als Fawcuss mit Krumenschaufel und Besen zudringlich wurde. Dann erhob sie sich und streckte gähnend die schlanken Arme. Leise Musik kam durchs offene Fenster hereingeweht. Es war Viertel nach acht.
»Ist das euer Radioapparat, Fawcuss?«
»Nein,
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