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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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traute sie sich nicht.
    Tina saß schweigend neben Saxon. Ihr Wunsch war in Erfüllung gegangen. Sie fuhren an blühenden Bäumen vorbei, deren Zweige über die Straße hingen; der Duft des Frühlings lag in der Luft. Ohne hinzusehen, nahm sie seine Hände am Steuer wahr und sein Profil vor dem Grün der Bäume. Sie war so zufrieden und glücklich, sie wollte überhaupt nicht mit den Fahrstunden anfangen; sie wollte immer so weiterfahren, neben ihm sitzend, als wären sie zwei Liebende in einer Gondel. Ich bin froh, dass ich ihn schon so lange kenne. Es ist nicht so, als ob ich neben einem Fremden säße; es ist nur der kleine Saxon, der sich immer zum Schaukeln auf die Gatter gesetzt und sie dann absichtlich offen stehen gelassen hat. Und auch ich lebe schon so lange hier … deshalb ist ja alles so friedlich für mich. Liebe muss im Grunde etwas Ruhiges, Friedliches sein, nicht brutal und beängstigend. Ein Gedanke kam ihr zugeflogen wie eine Taube:
    Im Morgenglanz lacht mir ein Engel zu
    Den ich ersehnt, und schenkt mir Ruh.
    Frau Doktor Hartmüller hätte sicher eine Menge dazu zu sagen gehabt.
    Die Leute sind so clever.
    Saxon bremste und hielt. Respektvoll wandte er sich ihr zu. Jetzt, da der schreckliche Motor aus war, erschien die Stille umso lauter.
    »Soll ich Ihnen erklären, wie es funktioniert, Madam?«
    »Ja, bitte.« Tina machte es sich bequem und wandte ihm mit einem aufmerksamen, intelligenten Ausdruck das Gesicht zu. Er jedoch schaute sie nicht an. Falls er auch nur das leiseste Gefühl hatte, dass Miss Tina nicht wirklich wissen wollte, wie der Austin funktionierte, dann unterdrückte er es und konzentrierte sich stattdessen auf seine Aufgabe. Es konnte ja sein, dass er sich irrte, und dann blühte ihm etwas höchst Unerfreuliches, wenn er sich Miss Tina gegenüber gehen ließ . Der Rausschmiss ohne Referenzen.
    Trotzdem, es schmeichelte ihm, dass sie von ihm Autofahren lernen wollte. Der Alte hätte das genauso gut erledigen können … bloß, wer wollte sich schon von dem was beibringen lassen …
    Also fing er an, ihr geduldig zu erklären, wie der Austin funktionierte. Er begann mit der Gangschaltung, da er davon ausging, dass seine Schülerin nicht wirklich wissen wollte, wie der Motor funktionierte, sondern nur, wie man das Auto fuhr. Wenn er sagte »wie es funktioniert«, meinte er, »wie man es fährt«. Das mit dem Motor konnte er ihr irgendwann später immer noch erklären.
    »Man muss sich ganz schön viel merken, nicht?«, meinte Tina irgendwann. Sie meinte das nicht ganz ernst, sondern sagte es nur, um etwas zu sagen.
    »Anfangs schon, Madam, aber irgendwann weiß man’s dann. Es ist wie Klavierspielen oder Schreibmaschineschreiben, heißt es.«
    In Wahrheit fiel es ihr überraschend leicht, sich auf seine Worte zu konzentrieren und sich das Gehörte zu merken. Als er auf den dritten Gang zu sprechen kam, wusste sie gleich, was er meinte, noch bevor er es erklärt hatte. Sie hatte schon als Schülerin einen wachen Verstand gehabt, eine schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis. Sie war nicht schusselig wie Viola. Wäre sie es gewesen, sie hätte wahrscheinlich geheiratet, denn die traurige Wahrheit ist, dass solche Frauen gewöhnlich einen Mann finden. Männer mögen Frauen, die hilflos wirken. Hinzu kam, dass Tina ihr Gedächtnis mit anspruchsvoller Lektüre frisch hielt, Bücher, die vielleicht nicht gerade der Weisheit letzten Schluss enthielten, aber immer noch besser waren als die Schaumküsse der Literatur, jene mentalen Brandy-mit-Soda-Romane.
    Jetzt gab sie sich besondere Mühe, aufmerksam zu sein, denn sie fürchtete sich vor der Aura träumerischer Zufriedenheit, die sie umhüllte wie die Strahlen der Sonne, welche so hoch am Himmel stand, dass sie sich in der Weite des Essex-Sommers in ihrem eigenen Licht zu verlieren schien. Etwas Magisches lag in der Luft, wie die ferne Stimme eines Zauberers, sie spürte es deutlich. Gedichtzeilen wehten ihr durch den Sinn wie feine Spinnenfäden.
    »Und jetzt«, unterbrach sie ihn plötzlich, »möchte ich das Ganze noch mal durchgehen, bevor ich mich ans Steuer setze, und sehen, wie viel davon ich behalten habe.«
    »Sehr wohl, Madam.« Er nahm seine Hände vom Steuer und wandte sich ihr aufmerksam zu. Sein Gesichtsausdruck war dabei so ernst, dass Tina wusste, er konnte seine Belustigung nur mühsam im Zaum halten. Gleichzeitig wirkte er auf einmal wieder menschlich, sein Blick war ganz anders als der, mit dem er das Getriebe

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