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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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nichts Ärgerlicheres als jemanden, der voll Tatendrang die Treppe hinaufstürmt.
    »Hab gleich meine erste Fahrstunde«, rief ihr Tina über die Schulter zu, während sie zu ihrem Zimmer hinauflief.
    »Ach, mit wem? Mit Saxon?« Viola folgte ihr und ließ sich aufs Bett plumpsen, was Tina auf die Nerven ging. Sie nickte ungehalten. Sie wusste, was jetzt kam. Viola würde sagen: Ui, kann ich mitkommen?
    »Ui! Kann ich mitkommen?«, sagte Viola.
    »Nein, kannst du nicht«, entgegnete ihre Schwägerin mit all der Autorität einer fünfzehn Jahre Älteren. »Ich mache das nicht nur zum Spaß; ich will wirklich Autofahren lernen. Wenn du mir dabei im Nacken sitzt und mich mit Ratschlägen nervös machst, kann ich mich nicht konzentrieren.«
    Pause. Tina setzte ihre Baskenmütze auf.
    »Na gut«, sagte Viola gutmütig. Sie erhob sich und meinte, instinktiv ins Herz der Situation vorstoßend: »Ich will mich nicht zwischen euch drängen.«
    »Zwischen uns …?«, prustete Tina. Ihre Handschuhe anziehend, sagte sie hochmütig: »Mein liebes Kind! Darum geht es doch überhaupt …«
    Aber der milde forschende Blick Violas und das lustige Funkeln in ihren Augen waren zu viel für Tina. Sie kicherte und schüttelte zornig ihre Faust, dann rannte sie davon.
    Wie herrlich, in Sachen Saxon so aufgezogen zu werden! Singend rannte sie die Treppe hinunter. Wie einfach das Leben sein konnte, wenn man es leichtnahm!
    Viola blieb, ein wenig verloren, in Tinas Zimmer zurück.
    Mit ihrem schlichten Gemüt war Viola sofort klar, dass es Tina bei den Fahrstunden nur um einen Grund gehen konnte: Saxon nahe zu sein. Niemand hatte Viola beigebracht, dass sich eine junge Dame nicht in einen Chauffeur verliebt. Wenn sie Miss Cattyman gefragt hätte, dann hätte sie erfahren, dass es manche jungen Damen taten – hatte so was nicht erst neulich in der Zeitung gestanden? Die Tanten hätten gesagt, dass eine richtige Dame so etwas nicht tat. Aber ihr Vater, dessen enervierend rosige Lebenssicht die ihre von Kind auf geprägt hatte, hätte gesagt, dass sich in Shakespeares Stücken jede Menge Damen völlig überraschend in alle möglichen und unmöglichen Charaktere verliebten, und Viola hielt sich nun mal an das, was ihr Vater gesagt hätte. Ihr erschien es ganz normal und aufregend und lustig, dass Tina sich in Saxon verknallt hatte.
    Seit Wochen schon spürte sie Tinas Interesse an Saxon, wann immer die Rede auf ihn kam. Es war ein vages, aber starkes Gefühl. Und jetzt, da ihre Schwägerin mit ihrem Kichern und ihrer drohenden Faust so gut wie zugegeben hatte, dass sie mit Saxon allein sein wollte, war Viola keineswegs überrascht. Sie hatte das Gefühl, schon seit Wochen gewusst zu haben, was Tina empfand.
    Aber Tinas Glück machte sie selbst noch trauriger und einsamer.
    Sie hat Saxon ja praktisch hier im Haus, dachte sie, während sie niedergeschlagen nach unten ging, sie kann ihn jederzeit sehen, und das ist schon was. Nicht wie ich, die absolut gar niemanden hat, und der einzige Mensch, auf den man steht, ist unanständig reich und genießt sein Leben und ist wahrscheinlich auch schon verlobt, mit jemand Umwerfendem, so was wie einem Filmstar.
    Sie blieb an der Hintertreppe stehen, die zum Hof hinausführte.
    »Hierher, bei Fuß«, sagte eine gemessene, feste Stimme. »Polo, Polo, hierher, bei Fuß.«
    Dies ging an Viola vorbei; sie war nicht neugierig. Ich nehme lieber den Vordereingang, dachte sie, falls Tina mit ihm da draußen ist. Ich will sie nicht zum Lachen bringen.
    Liebe war in Violas Augen etwas, worüber man lachte. Ihre praktische Erfahrung darin war zwar alles andere als lustig, aber Shirley lachte darüber, und die Meute lachte darüber (zumindest nach außen hin). Und jetzt hatte Tina gekichert. Lass dich bloß nicht umhauen , lautete der Rat der Meute, wenn eins ihrer Mitglieder sich verliebte – fast als wäre die Liebe ein Ringer, der mit geschickten Griffen und schmutzigen Tricks arbeitete, denen das Opfer nach bestem Vermögen auszuweichen hatte.
    Viola selbst war nicht nach Lachen zumute.
    »Ich mache einen kleinen Spaziergang in den Wald«, beschloss sie. Auf Zehenspitzen schlich sie an Mr Withers Klause vorbei zum Vordereingang.
    Das glänzende Heck des Wagens verschwand soeben um die Ecke. Viola wartete, bis er außer Sicht war, dann machte sie sich auf den Weg, die Hände in den Manteltaschen vergraben. Sie hatte nur noch fünf Pfund. Was sollte sie tun, wenn das auch verbraucht war? Mr Wither um Geld zu bitten

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