Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
erste Anzeichen von Irrsinn hielt! »Gehen Sie auch oder bleiben Sie noch?«
    »Ach, ich muss auch gehen, sonst komme ich noch zu spät zum Mittagessen.« Viola erhob sich.
    In der Hütte raschelte es, dann kam der Einsiedler hervor. Er hatte seine Stiefel ausgezogen und streckte nun einen hornigen Fuß vor. In den 1890ern mochte er ja schön gewesen sein, doch mittlerweile hatte ihm der gnadenlose Zahn der Zeit beträchtlich zugesetzt. Stolz verkündete er:
    »Da seht ihr! Perfekt! Jeder einzelne Knochen.«
    Hetty und Viola, die mühsam ihr Lachen unterdrückten, äußerten höflich ihre Zustimmung und Bewunderung. Der Einsiedler setzte sich wieder an sein Feuer und nahm seine Schnitzarbeit zur Hand. Die beiden jungen Frauen musterten einander verlegen.
    »Also dann, bis auf ein andermal, hoffe ich«, sagte Hetty. »Ich komme öfters hierher.«
    »Ja, das wäre schön. Noch mal danke. Auf Wiedersehen.«
    Jede erklomm auf ihrer Talseite die Böschung. Der Einsiedler winkte erst der einen, dann der anderen zu und rief: »Tschüss, Täubchen, tschüss, tschüss«, und schnitzte dann eifrig weiter an BÄRENMUTTER MIT JUNGEN .
    Die Wahrheit hört sich immer unglaublich an, aber der Einsiedler, den keinerlei Verpflichtungen belasteten und der sich mit nie versiegender Neugier für das Tun und Lassen seiner Mitmenschen interessierte und sich selbst am höchsten schätzte, dieser Einsiedler war der glücklichste Mensch weit und breit. Wenn da nur nicht diese verdammten Vögel gewesen wären! Ständig dieses verfluchte Gezwitscher und Gekreisch, mit dem sie einen morgens um fünf aus dem Schlaf rissen und nach dem Abendessen belästigten, wenn man ein Nickerchen machen wollte. Vor allem dieser eine, der die halbe Nacht lang kreischte, als ob’s tagsüber nicht gereicht hätte. Zisch! Zornig schleuderte er einen Stein ins Haselgebüsch, aus dem das nervtötende Gezwitscher kam. Ein kleiner brauner Vogel flog auf und flatterte aufgeregt zwitschernd davon.
    »Klappe, ihr blöden Viecher«, schimpfte der Einsiedler.

10. KAPITEL
    Als Viola das Esszimmer betrat, fiel ihr sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Ihre gute Stimmung nach dem Gespräch mit Hetty und weil es ein so schöner Tag war, fiel in sich zusammen. Tina und Madge, die bereits zu Tisch saßen, wirkten alles andere als niedergeschlagen, aber Mrs Wither war erregt, und Mr Wither machte ein grimmiges Gesicht.
    »Entschuldigt die Verspätung«, murmelte Viola.
    »Nein, nein, es ist genau eins. Wir sind nur heute ein bisschen früher dran«, entgegnete Mrs Wither kalt und zerstreut.
    Man begann zu essen. Mr Wither hielt den Blick gesenkt, was stets Ärger ankündigte. Was soll ich bloß den Rest des Tages mit mir anfangen?, dachte Viola. Wie sich die Zeit hier immer hinzieht, einfach schrecklich. Und was ist jetzt wohl wieder los?
    »Wie war deine erste Fahrstunde?«, fragte sie Tina, zu nervös, um das Schweigen länger ertragen zu können.
    »Ganz gut, glaube ich. Besser, als ich dachte. Es ist gar nicht so schwierig, es hat richtig Spaß gemacht. Morgen um elf habe ich wieder eine … das heißt, natürlich nur, wenn du Saxon entbehren kannst, Vater.«
    Mr Wither schwieg.
    »Ist nicht nächste Woche der Hospiz-Ball?«, bemerkte Madge nach einer Pause. »Haben wir die Karten schon? Die lassen sich diesmal aber besonders viel Zeit, was? Gewöhnlich sind sie spätestens am 26. da. Liegt sicher daran, dass Lady Dovewood den Termin noch mal verlegt hat.«
    Mr Wither hob den Kopf und richtete seine wässrigen kleinen Augen auf Viola.
    »Du hast heute Besuch gehabt«, verkündete er mit Grabesstimme. »Auf einem Fahrrad.«
    Pause. Alle hatten nun das Gefühl, dass Violas Besuch im Rolls Royce hätte kommen müssen.
    Viola errötete. »Ich?«, stammelte sie, »wer war’s denn?«
    »Deine Tante, soweit ich verstehe. In einer Schwesterntracht.«
    Pause. Mr Wither verzehrte ein Stück eingelegte Gurke.
    »Ach ja!« Viola lächelte erleichtert. »Das war wirklich meine Tante, sie ist Krankenschwester. Tante Lizzie. Geht es ihr gut? Dass sie sich die Mühe gemacht hat, extra herzukommen, und das auf ihrem Fahrrad! Sie kommt sonst nie nach Sible Pelden. New Chesterbourne ist ihr Bezirk, mit den Elendsvierteln. Was hat sie gesagt?«
    »Sie wollte uns Karten zum Ball verkaufen«, dröhnte Mr Wither, saures Gemüse verzehrend. »Natürlich konnte ich ihr nichts abkaufen; ich musste ihr erklären (was ziemlich umständlich war), dass wir unsere Karten immer direkt von Lady Dovewood

Weitere Kostenlose Bücher