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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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kann kommen!«
    »Gut. Hoffentlich hat sich deswegen niemand einen Zacken aus der Krone gebrochen. Also, dann treffen wir uns morgen um elf am Vordereingang des Lyons Corner House in der Oxford Street. (Du kannst am Bahnhof Liverpool Street direkt in die U-Bahn steigen und bis zur Tottenham Court Road fahren.) Bis dann.«
    »Bis dann, Shirley. Danke, ich freu mich riesig .«
    »Äh, Vi – bist du noch da?«
    »Ja?«
    »Hast du Geld?«
    »Fünf.«
    »Shilling oder Pfund?«
    »Ps.«
    »Gut! Davon wird morgen einiges draufgehen.«
    »Toll! Also tschüss, Darling.«
    Viola legte auf. Dann rannte sie die Treppe hinauf, den Kopf voller herrlicher Flausen. Als ob der Ball nicht schon genug wäre, jetzt auch noch das! Ein Unglück kommt selten allein, heißt es, doch das schien auch auf das Glück zuzutreffen! Sie riss ihren Schrank auf und stand davor, ohne richtig wahrzunehmen, was darin hing (zwei müde, abgetragene Abendkleider). Was soll ich morgen anziehen? … Ich hab keine sauberen Handschuhe mehr … muss sie noch waschen … oh … diese Schuhe, die sind ja schrecklich.
    Aus ihren Träumen gerissen sah sie, wie schäbig ihre silbernen Tanzschuhe schon waren: abgekratzt, mit angestoßener Spitze, auch fehlte ein Knopf. Die kann ich unmöglich anziehen, dachte sie. Ich muss mir neue kaufen.
    Aber dieser Gedanke beunruhigte sie nicht. Sie wusste, dass sie sich in der Stadt ein hübsches, modisches neues Paar für unter einem Pfund kaufen konnte.
    Die Zivilisation, wie wir sie kennen, ist korrumpiert. Vielleicht sogar dem Untergang geweiht: Omen gibt es genug. Ihre Grundpfeiler sind morsch und von Holzwürmern befallen, ihre Türme recken sich schief und wacklig hinauf zu finster dräuenden Wolken, in denen verborgene Kampfflugzeuge dröhnen. Aber sie kann und will ihre jungen Töchter mit Annehmlichkeiten versorgen, die für jedermann erschwinglich sind. Keine Frau muss schäbig oder gar ärmlich aussehen: Solange sie noch ein paar Shilling hat, kann sie sich etwas Hübsches, Fröhliches kaufen. Das mag nicht viel sein, ist aber immerhin etwas. Morgen werden wir sterben; aber vorher tanzen wir noch in silbernen Schuhen.
    Saxon steckte den Kopf in die Küche und teilte der Köchin mit, er würde seinen Lunch heute außer Haus einnehmen. Die Köchin nickte. Die drei ältlichen Dienstmädchen des Hauses, alle aus Chesterbourne, konnten im Großen und Ganzen nichts gegen den jungen Chauffeur sagen. Er war höflich und fleißig, und was seinen Charakter betraf, war ihnen (bis jetzt) noch nichts Negatives zu Ohren gekommen. Allerdings meinten sie, es wäre besser, wenn er nicht ganz so gut aussähe, aber das war schließlich nicht seine Schuld. Zweifellos würde er mit zunehmendem Alter schon hässlicher werden, dann renkte auch das sich wieder ein. Unscheinbar auszusehen war einfach natürlicher, fanden sie. Sie selbst sahen unscheinbar aus. Sie sahen aus wie drei dickliche Kiesel, deren Kanten seit Jahren in einer Vertiefung in einem Bach abgeschliffen wurden und die sich nun mehr und mehr ähnelten.
    Trotz ihrer Tugendhaftigkeit und obwohl sie in Saxons Gegenwart nie über die Herrschaft herzogen, war dieser klug genug, sich nicht ihren scharfen kleinen Adleraugen auszusetzen, nun da er förmlich vor Stolz platzte, weil sich Miss Tina für ihn interessierte. Daher machte er sich pfeifend davon, um sein Mittagessen im Wirtshaus an der Wegscheide einzunehmen.
    »Morgen, Söhnchen«, rief ihm der Einsiedler zu und schwenkte fröhlich eine Dose (wahrscheinlich voll Rosie).
    Saxon beachtete ihn nicht. Er hasste den verlausten alten Bastard, dessen Klappe nie stillstand und der sich andauernd im Pub aufspielte, ein dreckiger, halb wahnsinniger Lügner, der jeden ausnutzte, der blöd genug war, ihm auch nur den kleinen Finger zu reichen. Er, Saxon, gab sich alle Mühe, sich bei den Leuten Achtung zu verschaffen, aber das wurde ihm von solchen Individuen, die eigentlich ins Gefängnis oder in die Klapsmühle gehörten, schwer gemacht. Und er hatte allen Grund es zu hassen, wenn der Einsiedler ihn »Söhnchen« nannte.
    Ich wünschte, Mr Spring würde ihn aus dem Wäldchen vertreiben lassen, dachte er grimmig. Er könnte das, der Gemeinderat hört auf ihn. Wenn’s nach dem Alten ginge (damit meinte er Mr Wither), dann hätte der Halunke längst einen Tritt in den Hintern bekommen.
    Doch während er den mit Buchen bewachsenen Hügel auf der anderen Talseite erklomm, begann er erneut zu pfeifen, denn er musste wieder an Miss Tina

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