Der Sommernachtsball
Und dann bestünde zumindest eine geringe Chance, dass sie und …
Sie war inzwischen wieder bei der Band angelangt. Zu Violas größtem Entsetzen schaute Mr Knoedler sie ernst an, wies mit dem Daumen auf Victor und … zwinkerte ihr schelmisch zu!
Sie hätte in den Boden versinken können. Woher wusste das dieser abscheuliche kleine Kerl? Hochmütig wandte sie den Kopf ab, doch noch während sie das tat, wurde ihr klar, was sie eigentlich hätte tun sollen: lächelnd den Kopf schütteln. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Mr Knoedler sich lachend einen anderen albernen Hut aufsetzte.
Victor schien sich ebenfalls unauffällig umzusehen, das war jedenfalls ihr Eindruck, als sie erneut zu ihm hinschaute. Und da geschah es: Ihre Blicke begegneten sich. Zum ersten Mal schauten sie einander direkt an; und zwar lange und eingehend. Er musterte sie gelassen und selbstbewusst, jede Einzelheit ihres Gesichts und ihres Kleides, ihrer Figur. Selbst trotz ihres Schrecks und ihrer Freude darüber, dass er sie überhaupt ansah, hatte Viola das unbestimmte Gefühl, dass sie seinen Blick nicht mochte. Er war irgendwie … sie wusste nicht, wie. Aber er gefiel ihr nicht.
Beide Paare tauchten wieder im Gewimmel der Tanzenden ab, doch der Tanz war schon wenige Sekunden später zu Ende. Viola blieb pflichtschuldig neben ihrem Partner stehen und klatschte höflich. Gleichzeitig hatte sie das ungute Gefühl, das wir alle kennen, nämlich von jemand anders angestarrt zu werden. Sie wandte sich um, um zu sehen, wer das sein konnte.
Und begegnete dem Blick – der sich sogleich wieder von ihr abwandte – der funkelnden schwarzen Augen, die sie zum ersten Mal während des Gewitters an jenem Nachmittag gesehen hatte. Victors Begleiterin (so musste sie sie ja nun leider nennen) hatte sie unauffällig, aber gründlich gemustert, vom Lockenkopf bis zu den Sandalen. Als Viola hinschaute, sagte sie etwas zu ihrem Partner, und sie gingen hinüber zur Band, wo sie von Joe und seinen Boys, die sie zu kennen schienen, freudig begrüßt wurden.
Der junge Makler brachte Viola zu ihrer Gruppe zurück, die sich in einer Ecke auf einem Sofa unter einer staubigen Topfpalme eine Art Wither-Nest eingerichtet hatte. Doch man war guter Laune. Tina hatte mit Giles Bellamy getanzt, dem ältesten Dovewood-Sohn; Colonel Phillips hatte Madge zum Dinner-Tanz gebeten, was ein Glück war, denn dann konnte sie sich mit ihm während des Essens über Polo und über Polos Stammbaum unterhalten; Mr Wither würde Mrs Colonel Phillips zu Tisch führen, während Mrs Wither von Sir Henry Maxwell dorthin geleitet werden würde (dessen Mutter mittlerweile zu alt für derartige Vergnügungen geworden und glücklicherweise zu Hause geblieben war) und Tina vom Dovewood-Jungen. Nur Viola hatte noch keinen Dinner-Tanzpartner. Allgemeines Bedauern wurde laut. Wieso hatte sie den Makler entschlüpfen lassen? Viola saß auf dem Sofa und schaute sich um, in der Hoffnung, irgendwo Hetty Franklin zu entdecken und auf sich aufmerksam zu machen.
»Het«, murmelte Victor, der mit seiner Cousine am anderen Ende des Saals stand, »kennst du die mit der roten Schärpe?«
Hetty deutete wortlos auf vier verschiedene Mädchen mit roten Schärpen.
»Nein, nicht die – eine breite rote Schärpe. Himmelblaues Kleid. Kurzes, lockiges Haar. Hellblond.«
»Nein«, sagte seine Cousine hilfsbereit, »kenne ich nicht.«
»Ich möchte, dass du mich vorstellst«, grinste er.
Nachdenklich schaute sie zu ihm auf. Es konnte diesen lästigen Abend ein wenig auflockern, wenn Victor mit jemandem flirtete und Miss Barlow verärgerte.
»Zeig sie mir, und ich sehe, was ich tun kann. Wenn alle Stricke reißen, kann ich ja so tun, als ob wir zusammen in die fünfte Klasse gegangen wären. In Ordnung?«
»Ich seh sie nicht … doch, da ist sie. Dahinten, unter dieser Topfpalme, sie sitzt bei einer Gruppe von Leuten … einer Dicken in Grün …«
Hetty spähte kurzsichtig dorthin, konnte aber außer einem blassen Fleck vor dunklem Grund nichts erkennen.
»Gut, dann lass uns hingehen«, verkündete sie und setzte sich in Bewegung. »Wo ist Tante Edna? Ah, bei den Dovewoods … Immer mit der Ruhe! Du kommst langsam hinter mir her, dann stelle ich dich vor. Und bitte sei so gut und halte dich ein bisschen zurück, stürz dich nicht schon wieder wie ein Tiger auf dein Opfer, ja? Wo ist übrigens Phyl?«
»Da drüben, bei Andrews. Schnell, sie schaut schon her.«
Hetty murmelte:
»Der Schneeleopard hob den
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