Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
sechs unscheinbare, viel zu clevere Kinder, kein nennenswertes Vermögen, religiös und ein großes, hässliches, schlecht beheiztes Anwesen. Wer waren die Dovewoods, dass Miss Barlow sich ihretwegen Mühe geben sollte?
    Wumms! An ihrer Tür.
    »Phyl! Kannst du mir kurz helfen? Ich krieg diese Fliege einfach nicht hin. Hab schon zwei verpatzt.«
    »Ja, natürlich.« Ohne Eile schlüpfte sie in einen Morgenmantel und öffnete Victor die Tür.
    In Hemd und Smokinghose stand er vor ihr, in der Hand einen frischen weißen Binder. Er sah attraktiv aus, wie alle gut aussehenden Männer, wenn sie in Hemdsärmeln sind. Mit dem Geschick und der Routine einer Ehefrau übernahm Phyllis die ihr zugedachte Aufgabe und begann ihm eine tadellose Schleife zu binden. Die Vertrautheit, mit der sie das tat (und er sie gewähren ließ), bewies, wie alt ihre Freundschaft schon war und wie natürlich sie in eine Ehe übergehen würde. Jeder, der sie so gesehen hätte, hätte geglaubt, sie seien schon verheiratet.
    »Halt still.«
    »Du kitzelst mich.«
    »Sorry.«
    »Was ist das für ein Duft? Der ist toll.«
    »Mein Parfüm, meinst du? English April . Freut mich, dass es dir gefällt.«
    Mit ihren schlanken, gebräunten Fingern band sie ihm geschickt eine tadellose Fliege.
    »Da. Komisch, dass du dir noch immer keine binden kannst.«
    »Kann ich normalerweise. Aber heut bin ich ein bisserl nervös, Gnä’ Frau.«
    Er gab ihr einen flinken Kuss und ging lachend zurück zu seinem Zimmer. Phyllis schlüpfte aus dem Morgenmantel und frischte ihren Lippenstift auf. Auch sie musste schmunzeln. Victor war heute Abend nicht zu verachten. Manchmal langweilte er sie, manchmal ging er ihr auf die Nerven, vor allem, wenn er mal wieder den starken Mann spielte. Aber heute Abend war er definitiv nicht zu verachten. Als er sie so angelacht hatte, war ein warmes Gefühl in ihr aufgestiegen. Sie band ihm seine Krawatten, seit er achtzehn war, und im Moment hatte sie das Gefühl, sie ihm binden zu wollen, bis er achtundsechzig war. Guter alter Junge; attraktiv, zupackend, erstklassiger Geschäftsmann. Und er würde mit der Zeit noch besser (und reicher) werden. Es stimmte, sie kannte ihn schon so lange, dass er für sie mehr wie ein älterer Bruder war als ein zukünftiger Ehemann, aber zumindest kannte sie ihn gründlich und wusste, dass sie dieselben Dinge mochten, dieselbe Art von Leben. Bei ihm stand nicht zu befürchten, dass sie in drei Jahren schon wieder geschieden wären. Für Phyllis gehörten Scheidungen zum Leben: wenn etwas nicht mehr funktionierte, dann funktionierte es eben nicht mehr. Ihre eigene Ehe wollte sie aber nicht so schnell gescheitert sehen. Eine Scheidung war nicht gerade ein Ruhmesblatt; es war schicker und moderner, mit dem Ehemann zusammenzubleiben und eine gute Ehe zu führen. Kinder waren auch etwas Schickes, aber da zog sie die Grenze. Sie würde sich wegen niemandem die Figur verderben lassen, nein danke.
    Aber es würde nett werden, mit Victor verheiratet zu sein.
    Der Ball begann um acht, und das gewöhnliche Herdentier – darauf bedacht, das meiste aus seinem Geld rauszuholen – war pünktlich zur Stelle. Die Qualitätsware traf nie vor neun ein oder noch später. Das erweckte den Eindruck, als sei ihr Leben ein derartiger Wirbelwind an Vergnügungen, dass der Hospiz-Ball nur eines unter vielen war.
    Für Viola, die es kaum erwarten konnte, zum Ball zu kommen und zu tanzen, zog sich das Abendessen mit den Withers endlos hin. (Es war eine leichtere Mahlzeit als sonst, da es ja später auf dem Ball noch Erfrischungen geben würde.) Endlich aber war auch das vorbei, und alle traten in das bezaubernde Licht des hereinbrechenden Abends hinaus. Saxon wartete bereits mit dem Wagen und hielt professionell den Schlag auf. Hinter den dunklen Büschen des Gartens leuchtete das Grün der Eichen auf der anderen Straßenseite, der Himmel war golden, und die Luft duftete nach Staub und Blumen. Eine Insektenwolke flog über der Einfahrt hin und her, hin und her. Weiter weg, im Osten, über der fernen See, ging die riesige, blasse Scheibe des Mondes auf.
    Die Damen nahmen Platz. Viola war von Kopf bis Fuß in einen alten schwarzen Samtumhang gehüllt, den sie sich von Shirley geborgt hatte und der ihr Überraschungskleid wirksam verbarg. Es hatte ein paar bissige Bemerkungen gegeben, als sie sich damit an den Abendbrottisch gesetzt hatte. Mr Wither, der stark nach Mottenkugeln roch, setzte sich mit knirschenden Gelenken, legte die

Weitere Kostenlose Bücher