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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Hände auf die Knie und zählte seine Herde durch.
    »Wo ist Madge?«, fragte er resigniert.
    »Sie kommt gleich, Lieber.«
    »Sie verabschiedet sich nur noch kurz von Polo«, sagte Viola. Wie auf Kommando hörte man Madges dröhnende Stimme: »Braver Hund! Nein, runter! Runter! Leg dich auf den Rücken, ja, so ist’s brav. Bin bald wieder da.« Die knappen, munteren Worte konnten jedoch nicht über den zittrigen Ton hinwegtäuschen, in dem sie gesagt wurden. Dann kam Madge um die Ecke gesegelt, ein Schlachtschiff in leuchtendem Grün.
    Tina machte ihr Platz. Sie versuchte nicht zu Saxon hinzuschauen. Ob sie ihm wohl gefiel in ihrem Chiffonkleid in Braun, Silber und Grau, das an einen Nachtfalter erinnerte?
    »Wenn jetzt alle da sind, dann können wir ja losfahren«, sagte Mr Wither mit Grabesstimme und steckte seine Taschenuhr wieder ein.
    »Assembly Rooms.« Das Auto fuhr los.
    »Meine Güte, es ist ja noch hell! Ist es wirklich schon neun, Victor? Hetty, ist das Absicht?« Zwei kühle Finger zogen hart an Hettys Rattenschwanz. »Kein schlechtes Kleid. Das hab ich schon mal an dir gesehen, oder?«
    »Deins hat auch schon ein paar Runden gedreht!«, rief Hetty, während sie einstieg, der anderen nach. Miss Barlow verschwand im anderen Wagen mit Victor. Verzweifelt musterte Hetty die beiden Gesichter, die sie im Wagen erwarteten: das sorgfältig geschminkte, ältliche, müde, aber gut gelaunte ihrer Tante und das des jungen Mr Andrews, das an Bedeutungslosigkeit nicht zu überbieten war: so viele unscheinbare Merkmale auf einem Knochengerüst versammelt. Man fragte sich unwillkürlich, ob ihn seine eigene Mutter wohl in einer Menschenmenge erkennen würde. Was Dr. Johnson wohl über so ein Gesicht zu sagen hätte? Dieser Gedanke munterte Hetty auf, und sie fühlte sich besser.
    »Assembly Rooms«, sagte Mrs Spring.
    Die beiden Wagen fuhren los, Victor voran.

12. KAPITEL
    Als die Springs mit ihrem Gefolge eintrafen, war der Ball schon in vollem Gange. Dreihundert lachende, schwatzende Leute füllten die Räume. In ihren besten Kleidern, beschwingt von der munteren Musik und dem Dovewood-Punsch, welcher von Mr Joe Knoedler und seinen Boys probiert und überrascht für gut befunden worden war (will heißen, er enthielt Alkohol), schlenderten sie herum.
    Die Damen zogen sich sogleich zurück, um die Verwüstungen, die durch die Autofahrt angerichtet worden waren, zu reparieren. Victor und Mr Andrews parkten die Automobile und warteten dann in der großen Eingangshalle auf sie.
    Gelbe Stucksäulen stützten die Decke des Vestibüls, ein schäbiger roter Teppich bedeckte die Fliesen, an den Wänden Sofas in demselben ausgeblichenen Rot. Überall standen Büsten von Musikern herum: Das Anwesen war (zumindest hier in der Gegend) berühmt für die Konzerte, die in den 1880er Jahren hier stattgefunden hatten. Victor schaute durch die gläsernen Schwingtüren auf die Tänzer und fragte sich müßig (während die Schwingtüren immer wieder aufgingen und ein Schwall Musik herausströmte), wie Knoedler und seine Boys wohl ankamen und wann er wieder gehen konnte. In diesem Moment driftete etwas an seinem Auge vorbei, das ihm bekannt vorkam. Es war der Kopf eines Mädchens. Ein aschblonder Lockenkopf.
    Das ist sie!, dachte er mit einer Erregung, die ihn belustigte. Also doch ein lokales Pflänzchen. Mit wem tanzt sie denn da? Kenne ich nicht. Irgendein Idiot. Zu klein für sie. Sie sieht ein bisschen down aus. Was für eine tolle Puppe! Mit wem sie wohl hergekommen ist?
    Viola war tatsächlich ziemlich down. Sie war in Hochstimmung auf dem Ball eingetroffen, zitternd vor Erwartung konnte sie es kaum abwarten, mit dem Tanzen anzufangen. In den hohen Spiegeln des Saals konnte sie sehen, wie gut sie aussah: eine große, schlanke Schönheit mit silbernen Locken, in einem fließenden Chiffonkleid von zartestem Blau, mit einer breiten, dunkelroten Schärpe, wie sie die Kleider von kleinen Mädchen zieren. Alle starrten sie an; viele winkten und riefen: »Hallo! Sind Sie das, Viola? Hätte Sie gar nicht erkannt. Gefällt mir, Ihre neue Frisur!«, und hörten nicht auf, sie anzustarren, während sie davontanzten.
    Auch Mrs Wither äußerte sich zustimmend, bemerkte aber besorgt, ob Viola nicht kalt sei? Keine Ärmel, nichts auf dem Rücken, kaum was vorne? Selbst Mr Wither, der sich langsam mit Mrs Wither auf einem kleinen Quadratmeter Boden in einer Ecke des Saals drehte, bemerkte, dass das Kleid hübsch sei (er war so erleichtert, dass

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