Der Sommernachtsball
Tränen nahe war. »Da kommen sie ja … ach, Colonel Phillips, wie nett von Ihnen! Sie haben sich doch hoffentlich nicht verletzt? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir das alles bedauern …«
»Ach, papperlapapp. Nicht Ihre Schuld. Nichts passiert«, antwortete Colonel Phillips grimmig (er hinkte). »Ihr Chauffeur hat leider das Schlimmste abgekriegt. Dieser Bursche hat ihn zu Boden geschlagen, bevor ich einschreiten konnte. Hässliche Kopfwunde, der Arme. Ihre gute Köchin kümmert sich gerade um ihn. Parsham! Ihr grässlicher Hund hat sich losgerissen und mich über den Haufen gerannt, verd … Ist wahrscheinlich inzwischen schon zu Hause.«
»Ist Saxon schwer verletzt, Annie?«, erkundigte sich Tina mit bebenden Lippen. Die anderen gingen zurück zum Garten. Alle redeten auf einmal und waren sich einig, dass der Einsiedler eine Schande für die Gegend sei, Mrs Caker bemitleidenswert und das Verhältnis der beiden ein Skandal. Ein schöner Abend brach herein; der Wind hatte sich endlich gelegt, am Himmel standen zahlreiche kleine, goldene Wölkchen.
»Halb so schlimm, Miss Tina; er hat ’ne hässliche Beule. Aber, Miss«, Annie senkte ihre Stimme und starrte respektvoll auf ihre Füße, »er ist am Boden zerstört. Dass seine Mutter hier so aufgetaucht ist, Miss, und noch dazu betrunken. Und mit diesem Mann. Einfach schrecklich, Miss, ein netter, anständiger junger Bursche wie Saxon. Und das vor aller Augen. Hat ihn beschimpft, Miss. Schlimme Wörter benutzt. Die Köchin und ich, wir wussten gar nicht, wo wir hinschauen sollen.«
»Ich komme mit und sehe nach ihm«, entschloss sich Tina spontan. Die Gartenparty interessierte sie nicht mehr (obwohl sie nun, da etwas Hässliches passiert war, worüber sich die Leute das Maul zerreißen konnten, erst so richtig in Gang kam. Denn es gibt nichts, was mehr eint, als ein Unglück).
»Das alles tut mir schrecklich leid, Annie«, fuhr Tina fort, während sie rasch zurück zum Haus gingen. »Er ist nämlich wirklich ein netter, anständiger Bursche. Er soll wissen, dass wir ihm nicht böse sind, weil seine Mutter so aufgetaucht ist.«
Es war Tina ein ungeheurer Trost, so mit Annie über Saxon reden zu können. Annie war seit fünfzehn Jahren bei ihnen, sie kannte Tina schon, seit sie ein junges Mädchen gewesen war. Tina liebte weder dieses Haus noch die Leute darin; sie nahm sie für selbstverständlich und sehnte sich danach, sich von dem Leben, zu dem sie hier verdammt war, zu befreien. Aber indem sie mit Annie so über Saxon redete, hatte sie das Gefühl, ihn in ihren Lebenskreis aufzunehmen wie in einen warmen, tröstlichen Schoß. Tina wollte Annie, Saxon selbst, ja allen zeigen, dass The Eagles ihm Sympathien entgegenbrachte und ihm gegen seine verwahrloste, ordinäre Mutter und das Leben, das sie führte, beistand.
Mit dem Abend legte sich Stille übers Land. Der Wind hatte sich endlich gelegt, das Haus lag in einem goldenen Abendschimmer; die Pflastersteine des Hofs, die halb offene Garagentüre, alles erschien ihr wunderschön. Sie war glücklich und traurig zugleich, als würde sie Musik hören.
»Ist er in eurem Wohnzimmer?«
»Ja, Miss Tina.«
Das Wohnzimmer der Dienstboten befand sich auf der anderen Seite des Hauses, mit Blick auf die Straße und das Eichenwäldchen. Der Raum war erfüllt vom Sonnenschein, der von der weißen Landstraße zurückgeworfen wurde. In diesem eigenartigen, zitternden Licht wirkte Saxon bleich wie die Wand. Die Köchin hatte ihn auf ihrem eigenen Schaukelstuhl Platz nehmen lassen und wusch nun seine Kopfwunde behutsam mit warmem Wasser und Borax. Er war sehr still. Tina konnte sofort sehen, dass er blind vor Wut war. Er hob den Kopf und schaute sie an, als würde er sie nicht erkennen.
»Siehst du – da ist Miss Tina und kommt dich besuchen«, sagte die Köchin so liebevoll, wie es ihre schroffe Art zuließ. Sie redete mit ihm wie mit einem kleinen Jungen.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte Tina leise.
»Ach, nein, Miss; Doktor Parsham hat gemeint, das, was nötig ist, kann ich auch machen. Aber ihm ist kurz schlecht geworden.«
»Ja, natürlich.« Annie nickte wichtig. (Fawcuss war oben und half beim Verabschieden der Gäste.) »Kein Wunder, wenn man so hinfällt. Das ist die Gehirnerschütterung, da wird einem schlecht.«
Saxon starrte auf seine Stiefel und schwieg.
Ich muss etwas sagen, um ihn zu trösten, dachte Tina. Wie schrecklich, er hat seinen ganzen Mut verloren. Was soll ich sagen? Bloß nichts
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