Der Sommernachtsball
Herablassendes, nichts »Nettes«. Schwierig.
Sie schaute auf seinen dunklen Haarschopf hinab, auf die störrisch gesenkten Lider, deren Wimpern Schatten auf seine bleichen Wangen warfen. Und plötzlich fand sie den Mut, aus dem Herzen zu sprechen, als ob sie und er allein wären.
»Sie dürfen sich das nicht so zu Herzen nehmen«, sagte sie sanft, aber bestimmt und beugte sich ein wenig zu ihm hin. »Ich weiß, es ist schrecklich, aber für Sie ändert sich dadurch nichts, Saxon. Das Selbstwertgefühl eines Menschen hängt nicht davon ab, was einem andere antun. Nur davon, was man sich selbst antut . Nur Sie selbst können Ihr Selbstwertgefühl verletzen. Und deshalb dürfen Sie sich das alles nicht so zu Herzen nehmen.«
Die Köchin und Annie schauten zwar ein wenig überrascht drein, doch dann nickte die Köchin. Die drei Frauen musterten ihn zärtlich, als ob er ein kleiner Junge wäre. Tinas Ehrlichkeit, Wärme und Einfühlsamkeit und die schroffe Güte der ältlichen Hausangestellten umschlossen ihn wie ein Schutzwall, erinnerten ihn daran, dass auch andere Menschen den Kampf um ein anständiges, tugendhaftes Leben ausfochten und er nicht allein dastand.
Er schaute nicht auf, sagte aber leise und deutlich: »Danke, Miss Tina.«
Als sie an diesem Abend gegen zehn Uhr ihr Zimmer betrat, fand sie auf ihrem Lackkästchen einen kleinen Strauß rosaroter Wildrosen, sorgfältig mit Bast zusammengebunden. Im Garten der Withers wuchsen keine Rosen; die nächsten gab es bei einer Hütte, auf der anderen Seite des Waldes, unweit der Wegscheide. Die Kinder pflückten sie dort und boten sie an Sonntagen den vorbeikommenden Autofahrern an. Er musste den ganzen Weg mit ihnen zurückgelaufen sein und sich unter einem Vorwand auf ihr Zimmer geschlichen haben, während die Familie beim Dinner saß.
Die ganze Nacht lang, während sie schlief, hing ein süßer Duft in ihrem Zimmer.
Abends um halb neun, als es sich die Hausangestellten gerade in ihrem Wohnzimmer vor dem Radio gemütlich machen wollten, bog ein Lieferwagen, gesteuert von einem alten Mann, mit triumphierend quietschenden Reifen in den Hinterhof ein. Ein kleiner Junge hüpfte heraus, auf den Armen ein riesiges Paket.
Es waren die Kuchen.
16. KAPITEL
Wie schnell drei glückliche Sommertage doch verfliegen! Viola strahlte im Glanz ihres Geheimnisses; sie spielte mit Polo, trällerte wo sie ging und stand die Schlager des letzten Jahres vor sich hin oder spielte sie mit einem Finger auf dem Piano, versuchte allen zu helfen und fiel allen auf die Nerven. Sie schrieb Mrs Victor Spring in ihren Briefblock oder Viola Spring. Hochachtungsvoll, Mrs V. Spring . Sie brachte ihre bescheidene Garderobe auf Vordermann, da sie damit rechnete, eventuell mit Victor durchbrennen zu müssen, und küsste jede Nacht vor dem Schlafengehen ihre Tanzkarte. Es wurde bereits angedeutet, dass sie eine gefühlvolle Natur war; nun, da diese Seite Ermutigung erfahren hatte, war sie nicht mehr zu bremsen: Sie war verliebt. So verliebt, dass sie gar nicht merkte, dass inzwischen Mittwoch geworden und noch immer kein Brief von ihm eingetroffen war. Ebenso wenig, dass der Mann, den sie liebte, der legendäre Victor Spring war. Aus Victor war ein Traumgebilde geworden, das mit der realen Person nichts zu tun hatte. Sie dachte weder an seinen Charakter noch an sein Einkommen oder an seine Mutter. Sie war trunken vor Liebe. Sie flatterte umher wie eine geblendete Motte, ein verträumtes Lächeln auf dem Gesicht. Wenn der Postbote kam, lief sie die Treppe hinunter und rief:
»Irgendwas für mich dabei?«
Er hatte gesagt: »Gut, ich werde schreiben.« Und sie zweifelte keinen Moment daran. Es war nicht so wie das letzte Mal, als er nichts versprochen hatte.
Als es Freitag wurde und noch immer kein Brief von ihm kam, fand sie dennoch einen plausiblen Grund, ihn zu entschuldigen. Ihr fiel ein, dass Mr Wither erwähnt hatte, wie beschäftigt Victor im Moment war; und hatte er, Victor, ihr nicht selbst gesagt, dass er zwei Vorstandssitzungen und eine Geschäftsreise hatte sausen lassen, um zur Gartenparty zu kommen? Nachdem ihr diese Entschuldigung für ihn eingefallen war, wartete sie glücklich und in Erinnerungen schwelgend weiter. Sie nahm kaum wahr, wie die Tage verflogen, und auch nicht, dass sich die Stimmung im Hause Wither beträchtlich gebessert hatte.
Tina war viel lebhafter als früher und hatte rote Wangen bekommen. Madge war immer gut gelaunt und machte einen Witz nach dem anderen,
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