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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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San José belästigt gefühlt. So hatten wir das empfunden, weil Jim Quillen, wie wir ihn kannten, ein launischer alter Mann war, der manchmal wohl Vergnügen daran fand, andere zu manipulieren. Jetzt wussten wir, dass unser unbeholfener Anrufer ein anderer war. Ein ängstlicher Vater, der dringend mit seinem ihm entfremdeten Sohn sprechen musste und doch nicht wusste, wie. Cindy hatte es als einen Hilferuf verstanden, obwohl sie oder irgendein anderer Sterblicher außerstandewar zu erraten, worin genau das Problem bestand. Mit diesem Auftrag hatte sie mich geschickt.
    Als die schlimme Nachricht endlich raus war, drehte ich am Telefon durch. Ich hatte den Mann jahrelang auf Abstand gehalten, genauso wie er es mit mir gemacht hatte. Jetzt war es für mich ein Wettlauf mit dem Tod, an ihn heranzukommen.
    »Lass es einfach auf dich zukommen«, sagte sie. »Du hast die Zeit zu sagen, was gesagt werden muss. Lass dir Zeit, mach es richtig.«
    Der Morgen begrüßte mich mit einem Stupser. Ich schlug die Augen auf, und Dad grinste mich an.
    »Was?«
    »Sportsfreund, du hast Kleinholz aus meinem Schuppen gemacht«, sagte er. »Da kannst du mir aber wenigstens beim Reparieren helfen.«
    Ich war wie benommen, als ich mich aufsetzte. Zu schnell, zu früh. Ich stützte meinen Kopf in die Hände und setzte mich auf die Bettkante.
    »Fühlst du dich nicht gut?«, fragte Dad.
    Ich winkte ab.
    »Gib mir nur eine Minute. Ich zieh mich an und komme sofort.«
    Als ich rauskam, reichte mir Dad eine Tasse Kaffee, die er nach meinen Spezifikationen fabriziert hatte.
    »Mit dem Schuppen hast du ganze Arbeit geleistet«, sagte er.
    »Wäre nicht passiert, wenn du das alte Schloss dringelassen hättest.«
    Lächelnd schüttelte er den Kopf.
    »Bist du sauer auf mich?«, fragte ich.
    »Nee, das nun nicht gerade. Ich versuche, mich in dich hineinzuversetzen.«
    »Übernimm dich mal bloß nicht«, spottete ich.
    »Nein, ich meinte nur, ich kann nachvollziehen, warum du das getan hast.«
    »Echt?«
    »Klar. Ich habe dir was zum Kaputtmachen gegeben, und du hast es gemacht.«
    »Mein Gott, Pop, bist du früh aufgestanden und hast Nachhilfe in Philosophie genommen?«
    »Fick dich«, sagte er grinsend.
    Wir arbeiteten bis in den frühen Nachmittag hinein, montierten die kaputten Türen ab, zogen die verdrehten Scharniere heraus, bauten eine neue Laibung, schnitten neue Türen aus restlichem Sperrholz im Schuppen zu, montierten sie, bauten den Schließmechanismus ein und strichen unser Werk an.
    Bevor wir den Schuppen abschlossen, zog Dad die
    Schachtel herunter, die mich zum Einbruch verleitet hatte, und gab sie mir.
    »Sie gehört dir«, sagte er. »Du hast sie dir verdient. Nimm sie mit nach Hause.«
    »Du schmeißt mich raus?«
    Er lachte.
    »Nein. Aber ich kann mir vorstellen, dass du deiner Familie fehlst.«
    Dad war auf der Toilette, als es klopfte.
    »Wer ist das?«, rief er.
    »Ich weiß es nicht.«
    Ich öffnete die Tür und begrüßte Kelly Hewins. Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie nahm mein bärtiges Gesicht in ihre Hände. Sie waren warm und weich und stark.
    »Mitch?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Ich kann ihn in deinen Augen sehen.«
    Hinter mir hörte ich Schritte. »Mitch, wer ist das?«
    Ich machte Platz für Bruder und Schwester.
    Dads Augen signalisierten Erkennen. »Jimmy«, sagte sie und trat auf ihn zu. Er wich einen halben Schritt zurück, dann eilte er auf sie zu.
    Ich huschte zur Tür hinaus und schloss sie hinter mir. An der Wiedervereinigung würde ich auch teilhaben, aber das hatte Zeit bis später. Außerdem musste ich mich um meine längst überfällige Versöhnung kümmern.
    Ich ging bis ans Ende der Auffahrt, wo ich eine Woche lang fast jeden Abend gestanden hatte, und ich wählte die Nummer. Cindy nahm nach dem ersten Klingeln ab.
    »Hi, Schatz. Ich komme nach Hause.«

MILFORD | 11. JULI 1979
    Toby und Brad warteten in der Nische im Diner. Toby hatte Dads Attacke also weggesteckt und war wiedergekommen. Er stieg in meiner Achtung, aber ich hatte auch Angst vor dem, was er möglicher weise entfesselt hatte.
    »Morgen«, sagte Dad. Die anderen murmelten eine Erwiderung.
    Die Serviererin, die wir fast jeden Morgen sahen, kam an den Tisch, musterte uns und fragte: »Wie immer?« Wir nickten alle, und sie ging es sofort holen. Kaffee, schwarz, für Dad und Brad, Orangensaft für Toby und mich.
    Langsam verflüchtigte sich die Trägheit, und die Männer plauderten über den kommenden Tag. Ich beobachtete sie und

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