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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Morgenstunden, und der Schlaf hielt sich immer noch fern. Ich watete knietief ins Universum und grübelte über Dinge nach, die Dad nicht zu bekümmern schienen. Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass meine Zeit furchtbar kurz war? Könnte ich in das Fass meiner letzten Tage sehen und stolz auf mein Leben sein? Könnte ich sagen, ich hätte die Dinge getan, die ich tun musste und tun wollte?
    Ich wusste, dass die Antwort Nein war, durch die Bank. Enttäuschend für mich, aber ich hielt mich an der Vorstellung fest, dass ich Zeit hatte, ein Luxus, der Dad nicht mehr zur Verfügung stand.
    Und dann stutzte ich. Die Zeit, wie ich nur zu gut wusste, hat ihre eigenen Vorstellungen.
    Ich ließ meine Erinnerung frei schweifen, und sie tauchte in Nischen, die ich seit Jahren nicht aufgesucht hatte. Ich rief mir Dad im Sommer 77 in Sidney in Erinnerung. An einem Tag machten wir früh Feierabend, Dad und ein paar andere Bohrer grillten Hamburger im Park gegenüber dem Motel, in dem wir wohnten.Die Feierei zog sich über Stunden hin, und es freute mich sehr zu sehen, wie sich mein Vater vom Arbeitsdruck befreite. Den größten Teil des Tages und Abends war er mit allen gut Freund, immer einen Scherz und ein Lächeln auf den Lippen.
    Dann holte ein Helfer der anderen Bohrer Boxhandschuhe und schlug ein paar Runden unter Freunden vor, und für weitere gute Unterhaltung war gesorgt.
    Ein Boxer seit seiner Zeit in der Navy, machte Dad aus dem Spaß bitteren Ernst und fällte jeden Gegner, einen nach dem anderen, bis als einziger noch williger Partner der Handlanger übrig war, derjenige, der die Handschuhe mitgebracht hatte. Er war groß und schlank, mit Waschbrettbauch, und er war Dad mehr als ebenbürtig – und wahrscheinlich halb so alt wie er.
    Als der Kampf begann, tänzelte der junge Mann federnd und außer Reichweite um Dad herum. Dad pirschte sich an sein Opfer heran. Er versuchte, die Rechte mit voller Wucht auf sein Kinn sausen zu lassen. Der junge Mann wich dem Schlag nach links aus und landete drei gerade Linke in Dads Gesicht.
    Dad ging wieder auf ihn los, die Rechte immer noch bereit. Als sie zuschlug, traf sie knapp daneben auf das Brustbein des Handlangers. Die Augen des jungen Mannes weiteten sich; er wusste, dass ihn dieser Schlag niedergestreckt hätte, wäre er ein paar Zentimeter höher gelandet. Er huschte nach rechts, außerhalb von Dads Reichweite, und bot ihm Revanche mit zwei Schlägen ins Gesicht und einem rechten Cross, der Dad den Schweiß vom Kopf strömen ließ.
    Dad warf sich in den Kampf und büßte für seine Strategie. Linke und rechte Haken trafen ihn, ließen die Lippe aufplatzen und hinterließen eine Beule unter dem linken Auge. Seine wilden Schwinger verfehlten ihr Ziel, und für jede falsche Bewegung bezog er ordentlich Dresche mit dem Leder.
    Dad warf die Handschuhe hin.
    »Genug von dem Scheiß«, sagte er. »Ich bin zu alt.«
    Sein Gegner lächelte und zog die Handschuhe aus. Er streckte Dad die Hand entgegen. Der nahm sie.
    Der Mann sah es überhaupt nicht kommen. Dad packte mit einer Hand zu, ließ die Faust der anderen Hand in den Mund des Mannes krachen und streckte ihn nieder. Er trat dem Mann noch zweimal in die Rippen, begleitet von »Wer ist denn jetzt der Taffe, Arschloch?«, bevor Dads Kumpel ihn wegzerrten. Ich beobachtete das alles aus wenigen Metern Entfernung von meinem Platz auf einer alten Dampfmaschine. Ich sah zu, wie einer von Dads Freunden ihn aus dem Park und zum Motel zurück begleiteten. Ich sah den jungen Mann langsam aufstehen und Blut spucken.
    Zitternd vor Angst kehrte ich ins Zimmer, Angst vor dem, den ich auf der anderen Seite der Tür vorfinden würde. Dad sagte nichts, als ich eintrat. Er starrte auf den Fernseher. Ich zog mich leise aus und kletterte in das Bett gegenüber seinem.
    Die Unverwüstlichkeit meines Vaters beeindruckte mich schwer. Sein Hang zur Brutalität versetzte mich in Angst und Schrecken.
    Dreißig Jahre später lag ich in einem Schlafzimmer nebenan und fand es schwer zu begreifen, dass er von beiden Eigenschaften nicht mehr viel besaß. Die Uhr läuft ab, ob wir daran denken oder nicht.
    Mir kam auch Cindys Ermahnung in den Sinn, als ich sie vor Stunden angerufen hatte. »Lass es einfach auf dich zukommen.«
    Mit einem lachenden und einem weinenden Auge stellten wir fest, dass mit Dads Neuigkeit und den bekannt gewordenen Fakten jetzt alles einen Sinn ergab. Eine Woche zuvor hatten wir uns von seinen sinnlosen Anrufen bei uns in

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