Der Sonntagsmonat
wir, daß Er sich aufrichtete und «niemand sah denn das Weib». Und Er fragt sie: «Weib, wo sind sie, deine Verkläger?» Sie haben sich davongemacht. Und Sein Alleinsein mit ihr erinnert uns an den späteren Augenblick, als Maria Magdalena, die zum Grab gekommen ist und nur zwei Engel vorfindet, sich umwendet und Jesum stehen sieht und Ihn irrtümlich für den Gärtner hält. «Weib, was weinest du?» fragt Er sie. «Wen suchest du?» Und die Ehebrecherin fragt er: «Weib, wo sind sie, deine Verkläger?» Und es erinnert uns an Seine eigene Mutter, die er im Alter von zwölf Jahren, als sie ihn zurechtweist, weil er sie verlassen hat, um mit den Gelehrten im Tempel zu diskutieren, fragt: «Was ist’s, daß ihr mich gesucht habt?»
Wie viele Frauen, wahrhaftig, sind in der Heiligen Schrift auf der Suche nach Jesus, und mit welch lauterer Zartheit und Festigkeit behandelt Er sie – Seine Mutter Maria und die Prophetin Hanna und Johanna und Susanna, und des Jairus Tochter und des Petrus Schwiegermutter, und die Frau, die Sein Gewand berührt, so daß Er, ohne sich umzudrehen, fühlt, daß eine Kraft von Ihm gegangen ist, und die Sünderin, die Seine Füße mit Tränen netzt und der vergeben wird, weil sie, obschon sie viel gesündigt, auch viel geliebt hat, und vor allen anderen Maria und Martha, die Ihn in ihrer Wohnung empfangen und Ihm mit Nardensalbe die Füße salben und dafür von Judas getadelt werden und deren Bruder Lazarus von den Toten auferweckt wird, ungeachtet seines Zustands, auf den Martha in ihrer häuslichen Art aufmerksam macht: «Herr, er stinkt schon.»
Wie häuslich, wahrhaftig, wie schlicht ist doch dieses Epos des Neuen Testaments! Es erzählt von einfachen Heimen und vertrauten Sorgen, nicht von Palästen und Schlachtfeldern. Hintergrund und Peripherie des Imperiums dienen als Bühne für dieses gewaltigste und wichtigste aller Dramen. Jede Wohnung ein Tempel Gottes: was anderes hat unsere protestantische Revolution verkündet als dies, diese in den Häusern und Tagen der Evangeliengeschichten klar erkannte Wahrheit? Wie entscheidend für unser gegenwärtiges Glück sind dann Christi Worte über die den Festungen unserer Häuser drohenden Gefahren – Ehebruch und Scheidung.
Jesus predigte, so sagen uns die Gelehrten, zu einer Zeit der weltweiten Laxheit in Fragen der sexuellen Moral. Nun war eine gewisse humanistische Toleranz tatsächlich seit jeher ein Fehler der Juden – im Gegensatz zu den rigorosen Götzenanbetern. Im 3. und 5. Buch Mose wird zwar ausdrücklich angegeben, daß jene, die das Siebte Gebot brechen, des Todes sterben sollen, doch der große Hebraist John Lightfoot vermochte in seinem Hauptwerk Horae Hebraicae et Talmudicae nicht ein einziges Beispiel dafür, daß die Strafe vollstreckt wurde, anzuführen. Vielmehr wird uns berichtet, daß eine leibeigene Magd, die bei ihrem Herrn gelegen hatte, gestraft werden, aber nicht sterben soll, «denn sie ist nicht frei gewesen». Bathseba, die ihren Ehemann Uria mit David betrog, wurde gleichwohl Königin von Israel und die Mutter Salomos. Eva, von der Schlange verführt, wurde dennoch die Mutter der Menschheit. Gomer, die buhlerische Frau des Hosea, wird ihm zurückgegeben, auf daß er sie liebe, als Beispiel wie der Herr den treulosen Kindern Israel seine Liebe erhält. Und in der neuen Heilsgeschichte: Joseph, mit dem schwellenden Beweis der Untreue Marias konfrontiert, war nicht gewillt, sie als warnendes Beispiel bloßzustellen; sanftmütig gedachte er, «sie heimlich zu verlassen». Von den zwei ehebrecherischen Frauen, denen Christus in den Evangelien begegnet, wird, wie wir sahen, die eine gelobt, und die andere wird nicht verdammt. Die letztere wurde, wie wir vermuten dürfen, von den Pharisäern eigens zu Ihm gebracht, um Ihn in die Falle zu locken: sie wollten, daß Er die Anwendung eines die Todesstrafe vorsehenden Gesetzes forderte, das allgemein als absurd galt. Denn wie Er wiederholt versichert, «dies ist ein ehebrecherisches Geschlecht». Genauso hatte schon Jeremia über seine Generation geurteilt und Hosea über die seine; denn Israel bricht immer wieder seinen Bund mit dem Herrn, und doch hört der Herr nicht auf zu lieben und zu vergeben.
Ehebruch, meine Freunde, gehört zu unserer Natur: «Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.»
Wer aber, der
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